Jones – Anand: Schwarz läuft mit einem Scheinopfer zur (gewohnten) Hochform auf

Trotz trostloser Bilanz abseits der WM bleibt der „Tiger von Madras“ motiviert
Von Hartmut Metz
2012 geht wahrlich nicht als das Jahr von Viswanathan Anand in die Annalen ein. Der 43-Jährige verteidigte mühsam den WM-Titel gegen Außenseiter Boris Gelfand (Israel) – ansonsten reihte sich jedoch eine Enttäuschung an die andere für den Baden-Badener Bundesliga-Spitzenspieler. Nach der Weltmeisterschaft konnte Anand nur eine einzige Partie gewinnen und rutschte in der Weltrangliste auf Platz sieben ab. 2012 endete dennoch versöhnlich für ihn: Der freundliche „Tiger von Madras“ wurde in seiner Heimat erneut zum „Sportler des Jahres“ gekürt. Den Sympathieträger, der den Denksport auf dem Subkontinent populär machte, wählte eine Jury zudem zum „Inder des Jahres“! An Rücktritt verschwendet Anand auch deshalb derzeit keinen Gedanken. Er ermutigte sogar Cricket-Star Sachin Tendulkar, mit 39 am Ball zu bleiben, solange er seinen Sport liebe. Anand hat weiter Freude am königlichen Spiel. „Fehlende Motivation oder Desinteresse“ sei nicht sein Problem. Momentan ist der Champion zwar ratlos, warum es so schlecht läuft. „Wenn ich das Problem herausfinde, kann ich auch dagegen etwas tun“, betont jedoch der Vater eines kleinen Sohnes. Sollte die Krise an mangelnder Praxis wegen der WM-Vorbereitung liegen, erledigt sich das von alleine: Im neuen Jahr will Anand gleich bei sieben Turnieren antreten! So nimmt der Weltmeister auch vom 7. bis 17. Februar beim hochkarätigen Wettbewerb in Baden-Baden teil.
Hier der einzige Sieg des Weltmeisters nach der Titelverteidigung – die Partie bei den London Chess Classic im Dezember gewann Anand dank der WM-Erfahrungen in fulminantem Stil!

W: Jones S: Anand
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.f3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sb6 6.Sc3 Lg7 7.Le3 0–0 8.Dd2 e5 9.d5 c6 10.h4 cxd5 11.exd5 S8d7 12.h5 Sf6 13.hxg6 fxg6 Anand folgt den Pfaden bei der WM – allerdings denen seines Gegners Boris Gelfand, der die Variante in einer der wenigen spannenden Partien wählte. 14.Sh3 Eine Neuerung von Jones. In der dritten WM-Partie bevorzugte Anand mit Weiß 14.0–0–0 Ld7 15.Kb1 Tc8 16.Ka1 e4 17.Ld4 In dieser Stellung schlug der israelische Großmeister Emil Sutowski 17…e3!? als Alternative vor. 18.Lxe3 Sh5 ergibt laut den Rechnern nur ein minimales Plus für Weiß. Dank der aktiveren Figuren kompensiert Schwarz den geopferten Bauern. e4! 15.fxe4?! Die erste kleine Ungenauigkeit. 15.Sxe4 Dxd5 16.Sxf6+ Lxf6 17.Dxd5+ Sxd5 18.Lc4 Le6 19.Sg5 Lf7! führt zum Ausgleich. 20.Sxf7? erweist sich nämlich als schwächer, als die Abzüge mit Schach aussehen! Sxe3! 21.Sh6+? (21.Lb3 ist besser als das Doppelschach)Kg7 22.Lb3 Lg5 23.Sg4 Sxg4 24.fxg4 Tae8+ 25.Kd1 Tf2 und Weiß steht mit dem eingeklemmten König, dem niemand mehr helfen kann, vor einem baldigen Matt. Sg4 Sh5!? kommt in Betracht. 16.Lf4 16.Lc5 ist kaum besser, weil Anand hernach mit einem feinen positionellen Qualitätsopfer seine Springer optimal zur Entfaltung bringt: Txf1+! 17.Kxf1 Sc4 18.De2 Dc7! 19.Lf2 (19.Dxc4?? Se3+ 20.Lxe3 Dxc4+) Ld7 20.Kg1 Tf8 21.d6! Sxd6 22.Sd5 Da5 23.Td1 Le5 mit beiderseitigen Chancen. Se5 17.Lg5? 17.0–0–0 Lg4 18.d6! Die beste Fortsetzung. (18.Le2?? unterliegt: Sec4 19.Dc2 – oder 19.Lxc4 Sxc4 20.Dd3 Tc8 21.Tdf1 Sxb2! 22.Kxb2 Db6+ 23.Kc2 Txc3+ 24.Dxc3 Lxc3 25.Kxc3 Tc8+ und der offene König entwischt ohne Helfer nicht mehr – 19…Lxh3 20.Txh3 Txf4) Lxd1 19.Dxd1 Tc8 20.Kb1 h6 21.Lb5 a6 22.Db3+ Sec4 23.d7 axb5 24.dxc8D Dxc8 25.Sxb5 De6 26.Sc3 Dg4 (Txf4 27.Sxf4 Sd2+? 28.Kc2 Sxb3 scheitert an der eigenen hängenden Dame auf e6) 27.Dc2 (27.Lc1 Dxg2) Txf4 28.Sxf4 Dxf4 29.a3 Weiß steht schlecht, kann aber noch kämpfen. Dd6! Ein unerwartet starker Zug. 18.Sb5? Schlecht, aber ausreichend gute Alternativen finden sich keine. 18.0–0–0 Lg4 19.Lh6 Sbc4 20.Lxc4 Sxc4 21.Lxg7! Sxd2 22.Lxf8 Txf8 23.Txd2 Dg3 24.Kc2 ist am zähesten. Auch wenn Programme Schwarz auf der Siegerstraße sehen mit einem Bauernvorteil von rund 1,7, kann dieser bei ungleicher Materialverteilung rasch verhunzt werden. Insbesondere der d-Bauern könnte gefährlich werden. Dc5! Droht Txf1+ nebst Dxb5. 19.Sa3 Lxh3! 20.Le3 20.Tc1 kostet eine Figur nach mehreren hübschen Einschlägen: Txf1+! 21.Txf1 Dxc1+! 22.Dxc1 Sd3+ 23.Kd2 Sxc1 24.gxh3 Sxa2. Auch 20.Txh3 reicht nicht wegen Sbc4 21.Sxc4 Sxc4 22.Dc2 (22.Lxc4 Dg1+ 23.Ke2 Tf2+ 24.Ke3 Tf1+ 25.Kd3 Dd4+ 26.Kc2 Dxc4+ 27.Tc3 Lxc3 28.Dxc3 und der Nachziehende kann sich aussuchen, mit welcher Variante er gewinnt).Dc8! Diesen starken Rückzug dürfte Jones verständlicherweise übersehen haben. 21.Tc1 21.Txh3 kontert Anand mit Dxh3! 22.gxh3 Sf3+ 23.Kd1 Sxd2 24.Kxd2 Lxb2. Dg4 22.Txh3 Andere Fortsetzungen führen ebenso in den Orkus: 22.De2 Txf1+! 23.Txf1 Dxe4 24.gxh3 Sd3+ 25.Kd2 Sxc1 26.Kxc1 Sxd5 27.Tf3 Te8 28.Sc2 Lh6 29.Kd2 Weiß hat nun e3 ausreichend gedeckt, ist jedoch paralysiert. Lg5 30.a3 Tc8 31.Kd1 Sxe3+ 32.Sxe3 Db1+ 33.Kd2 Dc1+ 34.Kd3 Td8+ 35.Ke4 Dc6+ 36.Ke5 De8 matt. Dxh3! 23.gxh3 Sf3+ 24.Ke2 Sxd2 25.Lxd2 Lxb2 26.Sb5 Lxc1 27.Lxc1 Sxd5! Ein letzter hübscher Schlag, der das potenziell gefährliche Bauernpaar dezimiert. 28.exd5 Tae8+ 29.Le3 29.Kd3 Txf1. Txf1 0:1. 30.Kxf1 Txe3 31.d6 Txh3 32.Ke2 Kf7 und der d-Bauer erweist sich als Papiertiger gegen den „Tiger von Madras“.

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