Schach kurios: Weiß am Zug – gibt auf!

„Kurioses Schach“: Beide Seiten gaben gleichzeitig auf!
Von Hartmut Metz
Kauzigkeit, Genialität, Eigensinn, Selbstvertrauen, aber auch Humor – derlei vereint manches Menschlein. Zuweilen erscheint es jedoch, dass diese Kombination vor allem bei Schachmeistern gehäuft auftritt. Davon kündet einer stets besonders, der zur Riege der Großmeister zählt: Dr. Helmut Pfleger. Der Arzt und „Zeit“-Kolumnist versteht es trefflich, von den kleinen Schwächen der Großen der Denkbranche zu erzählen. Bei der dritten DVD über „Die schönsten Partien der Schachgeschichte“ (Chessbase, 29,90 Euro) stellt Pfleger fünf Stunden lang die aktuellen Topspieler von Weltmeister Viswanathan bis zu seinem Baden-Badener Vereinskameraden Magnus Carlsen, dem Weltranglistenersten aus Norwegen, vor. Wer lieber Gedrucktes bevorzugt, der muss nicht darben, obwohl es von Pfleger kein aktuelles Buch gibt. In die Rolle des „Märchenonkels“ schlüpft dafür Dagobert Kohlmeyer. Sein Buch „Schach kurios“ (Marlon Verlag, 14,95 Euro) beleuchtet auf 160 Seiten manch heitere Begebenheit rund um das Brett. Am lesenswertesten sind die Anekdoten, die rund ein Neuntel des Werks einnehmen. Die ein oder andere hat man zwar schon irgendwo gelesen – aber sie erheitern dennoch auch bei der Wiederholung. Das gilt besonders für Beispiele von übersteigertem Selbstbewusstsein – etwa wenn Siegbert Tarrasch gegen die Teilnahme von Frederic Yates beim Turnier in Hamburg 1910 protestierte, weil er zu schwach sei. Der Engländer belegte zwar tatsächlich den letzten Platz – gewann aber seine einzige Partie gegen Tarrasch! Lustig auch, dass Samuel Reshevsky bei der US-Meisterschaft 1957 dem überraschenden Seriensieger James Sherwin ankündigte: „Nun muss ich Sie wohl stoppen.“ Der entgegnete: „Vielleicht stoppe ich ja Sie!“ Woraufhin der Favorit befand: „Nicht in einer Million Jahren!“ Sherwin gewann natürlich die Partie und murmelte hinterher beiläufig: „Wie doch die Zeit vergeht …“
Hübsch auch die Anekdote, als Jefim Bogoljubow zum Simultan in einem Schweizer Örtchen weilte. Stolz machten die Teilnehmer ein Bild mit dem Vizeweltmeister in der Mitte – als sie die Abzüge zurückbekamen, wunderten sich alle, wo sich Bogoljubow plötzlich befindet. Der Fotograf wurde zur Rede gestellt und verteidigte sich: „Och, den Dicken da vorn habe ich wegretuschiert, der hatte ja nichts damit zu tun!“
Autor Kohlmeyer weiß auch manche interessante Geschichte aus seinem Leben als Schachreporter mit den Stars zu erzählen, ohne sich diesmal selbst zu sehr in den Mittelpunkt zu drängen. Sehr gut ausgewählt sind zudem ganz im „Geiste Pflegers“ die Partiebeispiele, Studien, geniale Kombinationen und Reinfälle. So gefällt zum Beispiel eine wunderbare Studie von Alexei Alexejewitsch Troizki. Der von 1866 bis 1942 lebende St. Petersburger gilt als Begründer der modernen Schachstudie. Zu seinen schönsten Studien unter den rund 750 Aufgaben zählt die folgende Stellung, die Weiß mit mehreren grandiosen Zügen und Opfern gewinnt.

Weiß am Zug gewinnt

 

1.Lc6! Tb1+ 2.Ke2 Txh1 Bei anderen Zügen behält Weiß letztlich auch mit der Dame mehr die Oberhand. 3.Lg2+!! Kxg2 4.Sf4+ Kg1 5.Ke1! Schwarz gerät in Zugzwang. g2 6.Se2 matt.

Am kuriosesten ist in „Schach kurios“ sicher die folgende Stellung – sie führte dazu, dass beide Seiten aufgaben!

Beide Seiten gaben auf!

 

Laut den Angaben eines Dr. Krejcik war die Partie in Wien regelkonform verlaufen. Nach zuletzt 1…g7-g5+ wähnte sich Weiß matt und wollte seinem Gegner gratulieren! Doch weil Schwarz sah, dass ja noch 2.hxg6+, also das Schlagen en passant, noch ging, gab er wegen Dh3 2.Txh3 matt auf! Wie die Partie gewertet wurde, ist leider nicht überliefert.

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