Kramnik – McShane: Der weiße Opferreigen geht weiter!

Brillanter Kramnik aber nur die Nummer zwei im Universum
Von Hartmut Metz
Mit Garri Kasparow hat er bereits einen „Außer- irdischen“ entzaubert: Wladimir Kramnik entthronte bei der Schach-Weltmeisterschaft 2000 in London seinen vermeintlich übermächtigen russischen Landsmann nicht nur mit 8,5:6,5 – der heute 37-Jährige verlor dabei auch keine einzige Partie! Inzwischen schickt sich mit Magnus Carlsen ein weiterer Überflieger an, weit besser als alle anderen Großmeister zu spielen. In der Weltrangliste enteilte der Norweger allen und brach den Rating-Rekord von Kasparow mit seinen seit Dienstag aktuellen 2 861 Elo-Punkten.
Kramnik rückte dank seiner exzellenten 6:2 Zähler bei den London Chess Classic, die Carlsen (6,5:1,5) gewann, auf Platz zwei der Weltrangliste vor. Angesichts des Rückstands von 51 Elo, der ungefähr einer Leistungsdifferenz von sechs Prozent entspricht, ulkt der humorvolle Kramnik, Carlsen sei ja „ins Weltall einteilt“ – und er folglich die Nummer eins auf der Erde …
Den „wirklichen Abstand“ zu ihm und dem knapp dahinter rangierenden Lewon Aronjan sieht der Russe weniger gewaltig. Im Interview mit der Zeitschrift „Schach“ verweist Kramnik zum einen auf seine positive Bilanz gegen Carlsen mit einem Sieg mehr auf der Habenseite. Offensichtlich ängstigten sich viele Gegner vor dem 22-Jährigen, so dass er wie einst Kasparow manchen zusätzlichen Punkt einheimse. „Das psychologische Moment lässt sich nicht wegdiskutieren“, räumt Kramnik ein. Der lange sehr solide agierende Russe verliert zwar kaum, gab dagegen aber immer viele Unentschieden ab. Doch sein Stil wandelte sich zuletzt. Permanent gelingen dem Ex-Weltmeister grandiose Partien wie die nachfolgende gegen Luke McShane. „Stark spielte in London nur Kramnik“, bestätigt Aronjan.
Auch wegen des Lobs „hofft“ Kramnik, dass er „in einem Match gegen Magnus nicht mit 0:6 untergeht“, wie der 37-Jährige mit Blick auf die legendären Zweikampf-Siege des verstorbenen Bobby Fischer scherzt. Bei dem im März in London anstehenden Kandidatenturnier traut Kramnik sich selbst ebenso wie Aronjan zu, dass sie vor Carlsen landen. „Dort hat keiner eine Sieggarantie. Das wird ein ganz anderes Turnier“, betont der Weltranglistenzweite.

W: Kramnik S: McShane
1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 a6 5.g3 dxc4 6.a4 e6 7.Lg2 c5 8.0–0 cxd4 9.Sxd4 Sbd7 10.Sc2 Dc7 11.Lf4 Eine Neuerung. Bereits 1997 sammelte Kramnik in der Halbslawisch-Variante Erfahrungen gegen den amtierenden Vizeweltmeister Boris Gelfand und zog damals 11.Dd4 Lc5 12.Dh4 Le7 13.Sa3 Se5 14.Lf4 h6 15.Lxe5 mit Remisschluss. e5 12.Ld2 Sc5 Lc5 13.Se3 Lxe3 14.Lxe3 0–0 15.a5 Tb8 16.Sd5 Sxd5 17.Dxd5 b5 18.axb6 Sxb6 19.Dc5 Dxc5 20.Lxc5 Td8 21.Tfd1 zeigte Kramnik nach der Partie. Schwarz kann sich kaum mehr rühren. Ein Beispiel: Sd7 22.Lc6! Txb2 23.Tac1 g6 24.Le7 Te8 25.Lxd7 Lxd7 26.Txd7 Txe2 27.Txc4. 13.Lg5 Le6 14.Lxf6 gxf6 15.Sd5 Kramnik nutzt nun filigran den Schwachpunkt d5 aus. Dd8 16.Sce3 Sb3 17.a5! In jüngster Zeit entpuppt sich Kramnik als Meister des Qualitätsopfers. Das treibt er in dieser Partie sogar filigran auf die Spitze. Tc8?! Lc5 18.Ta4 Sxa5 19.Sxf6+ Dxf6 20.Txa5 Td8 21.Dc2 gefiel McShane bei der Analyse besser. 21…b6 22.Txa6 0–0 scheint in Ordnung zu sein, weil sich 23.Sxc4 wegen der Fesselung auf der c-Linie verbietet: Tc8 24.b3 (24.Dd3 Tfd8 25.De4 Lxc4 26.Dxc4 Lxf2+ 27.Txf2 Td1+ 28.Lf1 Dxf2+ 29.Kxf2 Txc4 30.Txb6) b5 25.Lb7 bxc4 26.Lxc8 Txc8 27.bxc4. 18.Ta4 Sd4 Sxa5 19.Txa5 Dxa5 20.Sxf6+ Ke7 21.Sfd5+ Kd8! Den Computer kümmert das Abzugsschach wenig. Aber es wird schwierig, als Mensch den Angriff in einer praktischen Partie zu überleben. 19.Sb6 Tc7 20.Txc4!! Ein grandioses Qualitätsopfer. Weiß bekommt neben einem Bauern dafür vor allem die völlige Kontrolle über die weißen Felder. Lxc4 21.Sexc4 Sb5 22.Db1 Dd4?! Nicht das Beste – aber Lg7 23.Td1 Db8 24.Le4 h6 25.e3 ist auch nicht das, was man als Schwarzer spielen möchte. Damit man überhaupt noch ziehen kann, muss 25…0–0 26.Sd7 De8 27.Scb6 Kh8 28.Sxf8 folgen. Die Stellung ist indes hoffnungslos. 23.Td1 Dc5 24.e3 Le7 25.Df5 Kf8 26.Ld5 Kg7 27.Dg4+ Kh6 28.e4! Sd4 29.Se3 f5 30.Dh3+ Kg7 31.Txd4! Das nächste „Qualle-Opfer“. exd4 32.Sxf5+ Kf8 33.Dh6+ Ke8 34.Lxf7+! Der brillante Opferreigen geht weiter. Kd8 Kxf7 35.Dg7+ Ke8 36.Dxh8+ Lf8 37.b4 Dc1+ 38.Kg2 Dc6 39.Sd5 Tc8 40.De5+ Kf7 41.Df4 Ke8 (d3 42.Sh6+ Kg7 43.Df7+ Kxh6 44.Sf6 d2 45.Sg4+ Kg5 46.Df5 matt) 42.Sxd4 Dd6 43.Sf6+ Kf7 44.e5 Dd8 45.e6+ Kg6 46.Df5+ Kh6 47.Dh5+ Kg7 48.Dg5+ Kh8 49.Dg8 matt. 35.Dg7 Tf8 36.Sxd4 Tc6 Was sonst? Dc1+ endet mit 37.Kg2 Ld6 38.Df6+ Le7 39.Se6 matt. 37.Sxc6+ bxc6 Dxc6 38.Dxh7 wendet das schwarze Schicksal nicht ab. 38.Dg4 Kc7 39.Dd7+ Kb8 40.Dd2 Droht ein Springerschach auf d7. Kc7 41.Dd7+ Kb8 42.Kg2 Ld6 Dd6 43.Dxd6+ Lxd6 44.Sd7+ Kc7 45.Sxf8 Lxf8 46.e5 Lb4 47.f4 Lxa5 48.Kf3 Kd7 49.Ke4 führt trotz der ungleichfarbigen Läufer zu einem hoffnungslosen Endspiel. 43.b4! Dd4 Dxb4 44.Dxc6 Txf7 45.Da8+ Kc7 46.Dc8 matt. 44.Dxc6 Ka7 45.Kh3 Dd1 46.Sc8+ Txc8 47.Dxc8 Df1+ 48.Kg4 h5+ 49.Kxh5 1:0.

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