Polgar – Hulak: weiß zieht und siegt mit einem Opfer aus “heiterem Himmel”

Ungarin seit 24 Jahren die Nummer eins der Damen-Weltrangliste / Auftakt zu englisch-sprachiger Buchreihe: „Wie ich Fischers Rekord brach“
Von Hartmut Metz
Bei der Frauen-WM im russischen Chanty-Mansijsk verabschiedet sich eine Favoritin nach der anderen: die Inderin Humpy Koneru – wieder einmal früh raus. Die für die OSG Baden-Baden spielende Wahl- Slowenin Anna Musitschuk? Weg. Und auch die in der Setzliste auf Platz zwei geführte Weltmeisterin Hou Yifan scheiterte zeitig. Immerhin darf die Chinesin gegen ihre Nachfolgerin einen Zweikampf um den Titel austragen. Aussichten darauf haben die Halb- finalistinnen Anna Uschenina (Ukraine), Dronavalli Harika (Indien), ihre Landsmännin Ju Wenjun und Ex-Weltmeisterin Antoaneta Stefanova (Bulgarien).
Derlei Turniere könnten sich die Damen sparen, wenn Judit Polgar mitspielen würde! Anfang 2013 steht die Ungarin seit 24 Jahren auf Platz eins der Welt- rangliste, nur einmal kurz wegen Inaktivität unter- brochen, als sie ihren Sohn zur Welt brachte! Und stets lag mit einem Riesenvorsprung in Front. Würde die Budapesterin gegen die jetzige nominelle WM-Favoritin, die Weltranglisten-14. Dronavalli, antreten, lautete der zu erwartende Endstand bei einem Match über zehn Partien: 7,5:2,5. Das ist Polgar definitiv zu langweilig, deshalb spielt sie nur bei den Männern! Einzige zwei Ausnahmen: Mit ihren Schwestern, Ex-Weltmeisterin Susan und Sofia, räumte sie als 12- und 14-Jährige für Ungarn die Gold-Medaille bei der Olympiade ab.
Bereits mit 13 stand das Mädchen in den Top 100 der Männer und brach im Alter von 15 Jahren und vier Monaten den legendären Weltrekord von Bobby Fischer als jüngster Großmeister aller Zeiten! Entsprechend heißt der erste Titel ihrer englischen Buchreihe „Judit Polgar – Wie ich Fischers Rekord brach“ (Quality Chess, 384 Seiten, 24,99 Euro). Weitere Werke, „Vom Großmeister in die Top Ten“ und das doppeldeutige „Ein Spiel der Damen“, sollen folgen.
Das „British Chess Magazine“ befand zu den Anfangsjahren der stärksten Spielerin aller Zeiten: „Polgars Resultate lassen die Leistungen von Fischer und Garri Kasparow im gleichen Alter verblassen!“ Neun ehemalige oder aktuelle Männer-Weltmeister bezwang das einstige Wunderkind in ihrer Karriere. Noch immer zählt die 36-jährige Mutter zur Herren-Weltspitze. Neben ihrem sonnigen Gemüt begeistert die Jüngste der drei Polgar-Schwestern durch ihren aufregenden taktischen Stil. Neben den Analysen der schönsten Partien bis 1991 gefallen in dem neuen Werk vor allem die vielen alten Schwarzweiß-Fotos aus dem Album der legendären Schach-Familie Polgar! Beim Großmeister-B-Turnier in Amsterdam 1989 schlug die 13-Jährige den Jugoslawen Krunoslav Hulak und bekam dafür den Schönheitspreis.


W: Polgar S: Hulak

1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sc6 Judit Polgar berichtet, dass sie diese Stellung in den letzten vier Partien des OHRA-Turniers aufs Brett bekam. Gegen Hulak sei dies allerdings nicht verblüffend, da der Jugoslawe als Scheveninger-Experte im Sizilianisch galt. 5.Sc3 Dc7 6.Le2 a6 7.0–0 Sf6 8.Le3 Le7 Polgar bevorzugt mit Schwarz Lb4. 9.f4 d6 10.De1 Ld7!? „Sieht so aus, als habe Hulak seine Schlüsse aus meiner Erstrunden-Partie gegen Ree gezogen. Er schiebt die Rochade auf, bis der Bauernvorstoß g2–g4 nicht mehr möglich ist“, erzählt die Ungarin. 11.Dg3 0–0 12.Tae1 b5 13.a3 Sxd4 14.Lxd4 Lc6 15.Ld3 Die typische Scheveninger-Stellung steht auf dem Brett. Tab8!? Eine Neuerung, die Hulak vorbereitet hatte. Nach einem stillen weißen Zug wie 16.Kh1 käme Schwarz sofort zum Vorstoß b4. 16.e5! Weiß will umgehend die Stellung der Dame auf c7 und des Turms auf b8 ausnutzen. Im Idealfall nähme ein Läufer auf e5 beide aufs Korn. Se8! dxe5 17.Lxe5 Db6+ 18.Kh1 Tbd8 19.f5 verspricht dem Anziehenden starken Angriff. 17.f5! Droht 18.fxe6 fxe6 19.Dh3 mit Doppelangriff auf e6 und h7. „Es ist offensichtlich, dass mein Angriff auf vollen Touren läuft“, bemerkt Polgar. exf5 18.Txf5 „Ich bin überrascht, dass ich für den natürlichen Zug 19 Minuten brauchte“, wundert sich Polgar heute. 18.e6 Das sei zwar eine „verlockende Alternative, aber ich glaube nicht, dass ich das ernsthaft prüfte“, glaubt Polgar 23 Jahre danach. 18…fxe6 19.Txe6 Lf6 20.Lxf6 Txf6 21.Lxf5 Ld7 22.Txf6 Sxf6 23.Se4 Sxe4 24.Lxe4 Le6 verspricht Weiß nur leichten Vorteil. dxe5 19.Dh3!? Das einfache 19.Lxe5! hält die Weltranglistenerste für besser – doch zum einen faszinierten sie die Angriffsideen, die mit dem Damenzug auftauchten, zum anderen „gebe ich zu, dass ich nach Ld6? 20.Lxd6 Sxd6 21.Tc5! nicht sah. Danach sind die schwarzen Leichtfiguren gefesselt und werden durch Drohungen wie Sd5 oder Se4 erobert“. Ein Beispiel: Tfe8 (Dd7 22.Dh4 h6 23.Te7 Dc8 24.Tg5! Kh8 25.Txg7! Kxg7 26.Dg3+ Kh8 27.Dxd6 und das Matt ist nicht mehr sinnvoll zu parieren) 22.Txe8+ Txe8 23.Sd5 Dd8 24.Txc6 Sf5 25.Sf6+ Dxf6 26.Txf6 Sxg3 27.Txa6 Sh5 28.Lxb5 mit Gewinnstellung. h6?! Eine unnötige Schwächung. Am stärksten ist 19…Lf6! Das hatte Polgar übersehen. Sie hätte dann wohl zu 20.Dxh7+ (20.Txf6 kostet jetzt nur die Qualität, weil Sxf6 das neuralgische Feld h7 deckt. 20.Th5? verliert sogar wegen e4! 21.Txh7 Lxd4+ 22.Kh1 g6) Kxh7 21.Th5+ Kg8 22.Lh7+ Kh8 23.Lg6+ Kg8 24.Lh7+ mit Dauerschach greifen müssen. Zudem geht 19…exd4! Auf 20.Txe7! unterliegt nur Dxe7? (Dc8! bietet mehr Widerstand, weil der Turm auf f5 gefesselt ist mit Blick auf die Dame: 21.Dh4 dxc3 22.Dxh7+ Kxh7 23.Th5+ Kg8 24.Lh7+ Kh8 25.Lg6+ Kg8 26.Lh7+ mit Dauerschach) 21.Te5 h6 22.Txe7 dxc3 23.bxc3. 20.Lxe5 Da7+ Ld6! 21.Dg3 Td8 gönnt Weiß nur minimalen Vorteil. 21.Kh1 Ld6? Der Verlustzug laut Polgar. Td8 sei angezeigt, um mit einem Qualitätsopfer auf d3 notfalls den „Dampf aus meinem Angriff zu nehmen“, erläutert die Großmeisterin. 22.Tg5! Droht Dxh6 nebst baldigem Matt. Df2 Lxe5 23.Dxh6 g6 24.Texe5 Df2 25.Tef5 De1+ 26.Tf1 De7 27.Th5 und das Matt kann nur noch unter schweren Materialverlusten abgewendet werden. 23.Tf1 Dxf1+ Dd2 24.Df5 g6 25.Txg6+ fxg6 26.Dxg6+ Sg7 27.Dxg7 matt. 24.Lxf1 hxg5 25.Ld3! „Der Läufer kehrt auf seine Angriffsdiagonale zurück. … Die nächste Phase spielte ich sehr akkurat und fand die einzigen Gewinnzüge. Ich fühlte mich besonders in meinem Element“, schreibt die Siegerin in ihrem Buch. f5 26.Lxf5 Lxe5 27.Dh7+ 27.Le6+? ist schlecht wegen Tf7 28.Df5 Lf6 und 27.Lh7+ Kf7 28.Df5+ Lf6 29.Sd5 g6! 30.Dxg6+ reicht auch nicht. Kf7 28.Dg6+ Ke7 Auf Kg8 folgt 29.Le6+. 29.De6+ Kd8 30.Dxe5 Tb7“ 31.Kg1! Nimmt die Grundliniendrohungen gegen f1 aus der Stellung und ermöglicht g4. Tbf7 32.g4 g6 33.Db8+ Ke7 34.Sd5+! Ein letzter erforderlicher starker Zug. Lxd5 35.De5+ Kd8 36.Dxd5+ Kc7 Nach Ke7 geschieht 37.Dd7+ Kf6 38.De6+ Kg7 39.Dxg6+ Kh8 40.Dh6+ Kg8 41.Le6. 37.Dc5+ Kb8 38.Db6+ Tb7 39.Dd8+ Ka7 40.Lxg6 „Danach hatte ich das Gefühl zu fliegen“, schrieb Polgar im Rückblick auf das 13–jährige Mädchen, das sie damals war. 1:0.

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