Schach-Großmeister und jüngster Oxford-Student seit 500 Jahren / Blitz-Turnier zum 60. Geburtstag

Beljawsky – Nunn: Weiß am Zug – steht vor den Trümmern seiner Stellung

Von Hartmut Metz
Englische Wunderkinder im Schach hat es in den 80er und 90er Jahren mit Nigel Short, Matthew Sadler und Luke McShane gleich drei gegeben. John Nunn wurde auch Großmeister und ist ein Wunderkind – allerdings mehr in der Mathematik. Der am 25. April 1955 geborene Londoner wurde der jüngste Student an der Universität Oxford seit Kardinal Wolsey im 15. Jahr- hundert. Die Medien stürzten sich deshalb auf den Knaben. Mit 23 wurde Nunn nahezu gleichzeitig Großmeister und Doktor der Mathematik (Thema: algebraische Topologie). „Ich mag dieses Wunder- kinder-Ding nicht. Okay, du bist in einem speziellen Bereich den Anderen ein bisschen voraus – aber das ist nur dieses enge Spektrum. Die gesamten menschlichen Fähigkeiten sind facettenreicher“, sagte der beliebte Schachbuch-Autor einmal dem „Guardian“, als dieser mehrere Wunderkinder vorstellte. Weil Nunn nicht nur äußerst eloquent schreibt, sondern auch stets bescheiden wie freundlich auftritt, kam die britische Elite gerne zu seinem Blitzturnier anlässlich seines 60. Geburtstags
– nur Short und Michael Adams fehlten wegen Turnierverpflichtungen. Geschenke auf dem Brett wollte der Gastgeber nicht und belegte so „nur“ Platz zwölf mit 5:10 Punkten. Zu seinen besten Zeiten in den 80er und 90er Jahren hätte Nunn wohl eher um Rang eins mitgespielt. 1984 stand er in der Weltauswahl, die die Sowjetunion herausforderte.
Weltmeister wurde der ehemalige Top-25-Spieler in einem speziellen Feld: dem Problemschach. 2004, 2007 und 2010 war er bester Löser und erhielt nach dem ersten WM-Titel auch die Großmeister-Würde in dieser Sparte. Es gibt mit Landsmann Jonathan Mestel und dem Israeli Ram Soffer nur zwei Spieler, die ebenso im Turnierschach Großmeister sind. Auf Grund dieses Faibles und dem Hang zur Endspiel-Theorie gilt Nunn auch als Wegbereiter von Endspiel-Datenbanken.
Die nachstehende Partie gegen den Russen Alexander Beljawski 1985 beim Weltklasseturnier in Wijk aan Zee bezeichnete Nunn als eine der besten in seiner Karriere. An der holländischen Küste belegte der 60-Jährige gleich dreimal den ersten Platz (1982, 1990 und 1991).

W: Beljawski S: Nunn
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0–0 6.Le3 Sbd7 7.Dd2 c5 8.d5?!
8.Sge2! hält das Feld e5 besser unter Kontrolle, das gleich wichtig wird. Se5 9.h3 Sh5 10.Lf2 f5! Öffnet die Stellung, um die bessere Figurenentwicklung zur Geltung zu bringen. 11.exf5 Txf5!! 12.g4

Txf3! 13.gxh5 13.Sxf3 verbietet sich offensichtlich wegen Sxf3+ 14.Kd1 Sxd2. Df8 14.Se4?! 14.Td1 Lf5 15.Th2 Kh8 16.hxg6 Lxg6 17.Tg2 Lh6 18.De2 Lh5 gibt Schwarz exzellentes Spiel für die geopferte Figur. Lh6? Df5! erzwingt 15.De2 (15.Sg5 verliert die Mehrfigur kompensationslos: Tf4 16.h4 h6 17.S5h3 Te4+ 18.Le2 Sf3+ 19.Sxf3 Dxf3 20.Th2 Lxh3) Sd3+ 16.Dxd3 Txd3 17.Lxd3 b5! 18.hxg6 hxg6 19.Td1 bxc4 20.Sg3 De5+ 21.Le2 Dxb2 und Schwarz steht auf Gewinn. 15.Dc2? 15.De2 Sd3+ 16.Dxd3 Txd3 17.Lxd3 Df4 18.Td1 hält die Waage im Gleichgewicht. Df4? Le3! 16.De2 Txf2 17.Sxf2 Df4 18.hxg6 hxg6 19.Th2! Am besten. Dxh2 20.Dxe3 Dxg1 21.0–0–0 Lf5 22.Le2 Dg2 und Weiß kann noch kämpfen in deutlich schlechterer Stellung. 16.Se2? 16.Sxf3! Das ginge jetzt. Sxf3+ 17.Kd1 Lf5 18.Lg3! (18.Ld3 verliert nach Sd4 19.Lxd4 Df3+ 20.De2 Dxh1+ 21.De1 Dxe1+ 22.Kxe1 cxd4) Dxe4 19.Dxe4 Lxe4 20.Lg2 und Weiß hat dank der Mehrqualität die besseren Aussichten.

Txf2! Df7 ist auch gut. 17.Sxf2 Sf3+ 18.Kd1 Dh4! Der einzige überzeugende Zug für Schwarz. 19.Sd3 Lf5 20.Sec1? Ein natürlicher Reflex, den Springer auf d3 zu schützen. Aber 20.Sef4 Lxf4 21.Df2 Lg3! 22.Dxf3 Le4 23.Dg4 Lxh1 24.hxg6 Dxg4+ 25.hxg4 hxg6 26.Le2 ist eher im Kampf um ein Remis geboten – auch wenn das Endspiel sehr schlecht für den Anziehenden steht. Sd2! 21.hxg6 hxg6? Sxc4! gewinnt umgehend. 22.gxh7+ Kxh7 23.Df2 De4 24.Th2 Se3+ 25.Ke1 Sg4+ 26.De2 Sxh2. 22.Lg2 22.b3 De4 23.Tg1 Dd4 und beide Türme hängen. 22.Dxd2 Lxd2 23.Kxd2 Dxc4 ist materiell in Ordnung für Weiß, allerdings überrollt Schwarz den Gegner, weil dieser sein Figurenspiel nicht koordinieren kann. Sxc4 23.Df2 Se3+ 24.Ke2 Dc4 25.Lf3 Tf8 26.Tg1 Sc2 27.Kd1 Lxd3

Beljawski gab die schreckliche Stellung auf. 0:1.

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