Carlsen – Anand: Weiß gewinnt – scheinbar mühelos – im nächsten Zug (Schwarz gibt unmittelbar danach auf)

Herausforderer Magnus Carlsen haushoher Favorit bei der WM
Von Hartmut Metz
Die Schach-WM, die gestern (Anm.: die Schach- kolumne erschien bereits am Samstag im Badischen Tagblatt) im südindischen Chennai startete, bringt für den Titelverteidiger eine ungewohnte Situation mit sich: Viswanathan Anand ist anders als 2008 gegen Wladimir Kramnik, 2010 gegen Wesselin Topalow und im Vorjahr beim 6:6 gegen Boris Gelfand nicht der große Favorit. Fans wie Experten rechnen in der überwiegenden Mehrzahl mit einer Wachablösung: Die Zahlen sprechen zu eindeutig für Magnus Carlsen. Der mit 22 Jahren nur halb so alte Herausforderer ist nicht nur motivierter als der „Tiger von Madras“, sondern eilte von Erfolg zu Erfolg. Der Norweger führt deshalb mit enormem Vorsprung die Weltrangliste an, während Anand am 1. November auf Platz acht abrutschte. „Carlsen spielt beständiger als jeder andere, was sich in seiner alles überragenden Elo-Weltranglistenzahl widerspiegelt“, befindet der englische Großmeister Daniel King in der neuen Ausgabe des „Schach-Magazins 64“ und scherzt, „wenn Anand den fitten und erfolgshungrigen Carlsen besiegt, dann fresse ich meine Elo.“

Anand und Carlsen beim Shakehands vor dem Duell (Foto: Fide)
WM-Vorschau von Hartmut Metz

Peter Heine Nielsen verhält sich in dem Match neutral – obwohl Carlsen der neue Chef des dänischen Eröffnungsexperten ist. Weil der Großmeister der OSG Baden-Baden aber bisher für Anand als Sekundant arbeitete, „halte ich mich im Duell meiner beiden Freunde raus“, verspricht Nielsen. Doch auch ohne seine Hilfe spiele Carlsen „nach der Eröffnungsphase grandios“. Der Weltmeister muss daher darauf bauen, dass er besser vorbereitet in die maximal zwölf Partien geht. Schon das Erreichen des Schnellschach-Tiebreaks am 28. November dürfte für Anand anstrengend werden – Carlsen gab im Interview mit der „Zeit“ seine Taktik preis: „Ich will ihn möglichst lange am Brett beschäftigen – lange genug, damit er einfach zusammenbricht.“
Der letzte Vergleich zwischen den beiden Rivalen verheißt nichts Gutes für den Weltmeister. Beim Tal-Memorial Mitte Juni in Moskau nahm Carlsen den Inder nach einer ausgeglichen verlaufenden Eröffnungsphase schnell auseinander.

W: Carlsen S: Anand
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.e3 0–0 5.Sge2 d5 6.a3 Le7 7.cxd5 Sxd5 exd5 ist eigentlich gängiger. Topleute wie Anand bevorzugen aber offenbar das Schlagen mit dem Springer. 8.Ld2 Sd7 Sxc3 9.Lxc3 b6 spielte Anand 2004 auf Mallorca gegen Lewon Aronjan. 9.g3 Da der Läufer nur durch einen ungünstigen Springerzug von e2 weg ins Spiel kommt, entscheidet sich Carlsen für ein Fianchetto. b6 Schwarz hält auf der langen Diagonalen dagegen. S5b6 10.Lg2 und 9…S5f6 10.Lg2 jeweils mit dem schwarzen Bauernvorstoß nach e5 kamen auch bereits in der Großmeister-Praxis vor. 10.Sxd5 exd5 11.Lg2 Lb7 12.Lb4! Programme plädieren ebenso für diesen Zug, der den schwarzfeldrigen Läufer abtauschen soll. Anand kann nun zwar dem Rivalen einen Doppelbauern verpassen, doch der ist eher lästig, weil er Vorstöße nach c5 und a5 erschwert. Sf6 c5 13.dxc5 bxc5 14.Lc3 beschert dem Nachziehenden zunächst Raumvorteil. Doch die hängenden Bauern können sich als angreifbar entpuppen. 13.0–0 Te8 14.Tc1 c6 15.Lxe7 Txe7 16.Te1 Dd6 17.Sf4 Die Stellung dürfte marginal günstiger für Carlsen sein. Viel hat er aber nicht aus der Eröffnung herausgeholt – doch das ist meistens der Fall, bevor er anfängt, den Gegner zu überspielen. Lc8 Anand möchte den „Großbauern“ aktiver postieren. 18.Da4 Tc7 19.f3! Nimmt dem Läufer die Perspektiven am Königsflügel. Le6 Lf5? entpuppt sich bereits als Fehler: 20.e4 b5 (dxe4 21.fxe4 Ld7 22.e5 kostet bereits eine Figur) 21.Dd1 dxe4 22.fxe4 Lg4 23.e5 Dd7 24.Dd3 Se8 25.h3 Lf5 26.De3 mit schrecklicher schwarzer Stellung. Td8 27.g4 Le6 28.Sxe6 fxe6 29.Ted1 a6 30.Dc3 Tdc8 31.Dc5 g6 32.Tf1 Sg7 33.Tf6 Dd8 34.Tcf1 De7 35.Db6 und Weiß steht auf Gewinn. 20.e4! dxe4? Schwarz sollte eher auf den Abtausch verzichten. So wird der Läufer auf g2 aktiviert, und der d-Bauern kann auch bei Gelegenheit vormarschieren. Passives Ausharren mittels Dd7 dürfte zäher sein: 21.Sxe6 Dxe6 22.e5 Se8 mit nur etwas Vorteil für Carlsen. 21.fxe4 Dd7?! Allein b5 verhindert den Zusammenbruch. Allerdings ist 22.Db4! Dxb4 23.axb4 Tac8 24.Tc3 Lg4 25.Tec1 wenig erbaulich. Die schwarze Position steht ebenfalls kurz vor dem Kollaps. 22.d5! cxd5 23.Dxd7 Txd7 24.Sxe6 fxe6 25.Lh3! Die Pointe der Abwicklung. Nicht d5, sondern e6 erweist sich als wunder Punkt in der schwarzen Stellung. Kh8 Te7 26.exd5 Sxd5 scheitert an 27.Lxe6+ Kf8 28.Lxd5. Bei 25…Te8 26.exd5 hat Anand wieder das Problem, dass er trotz dreier Schlagmöglichkeiten nicht auf d5 zugreifen darf: Tdd8 27.Lxe6+ Kh8 28.Ted1 mit weißem Mehrbauern. 26.e5 Sg8 27.Lxe6 Tdd8? Te7 verteidigt sich hartnäckiger: 28.Lxd5 Td8 29.La2 g6 30.Tcd1 Txd1 31.Txd1 Kg7 32.e6 Sf6 Carlsen hat aber auch bei dieser Fortsetzung Gewinnchancen. 28.Tc7 d4?! 29.Ld7 1:0. Anand gab die hoffnungslose Partie auf: Der e-Bauer kann nicht mehr vernünftig aufgehalten werden. Ein Beispiel: Se7 30.Td1 Sg6 31.e6 Kg8 32.e7 Sxe7 33.Le6+ Kf8 (Kh8 34.Txe7) 34.Tf1+ Ke8 35.Lf7+ Kf8 36.Lc4+ Ke8 37.Lb5+.

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