Lasker – Aljechin: Weiß zieht – und gewinnt sofort

Lasker gewinnt vor 100 Jahren legendäres Turnier in St. Petersburg
Von Hartmut Metz
Ob bei dem Turnier 1914 Zar Nikolaus II. tatsächlich die ersten fünf Großmeister-Titel verliehen hat, gilt als historisch zweifelhaft. Erstmals benutzt wurde der Ausdruck für einen starken Spieler bereits 1838 in der Schachspalte der Zeitschrift „Bell’s Life“. Offiziell führte der Weltverband FIDE den Großmeister-Titel 1950 ein und knüpfte die Vergabe an einige Kriterien. Heut- zutage muss ein Spieler üblicherweise drei Normen erfüllen und seine Ratingzahl auf mindestens 2 500 Elo-Punkte hieven, um die höchste Würde zu bekommen. Doch unabhängig davon, ob im April und Mai vor 100 Jahren die fünf Teilnehmer der Endrunde in St. Petersburg diese Ehrenbezeugung als außer- ordentliche Könner vom Zar erhielten oder nicht – das Turnier war ein historisch bedeutendes. Alle Koryphäen der damaligen Zeit befanden sich im elfköpfigen Teilnehmerfeld. Nach der Vorrunde lag der aufstrebende Kubaner José Raul Capablanca mit acht von zehn Punkten weit in Front vor den deutschen Vorkämpfern Emanuel Lasker und Siegbert Tarrasch (6,5). Etwas überraschend qualifizierte sich Alexander Aljechin für das Finale. Der Russe sammelte wie der Amerikaner Frank Marshall sechs Zähler. Diese fünf Asse werden deshalb verdientermaßen als erste Großmeister geführt.

Die Teilnehmer der Siegergruppe des Turniers (v.l.n.r.): Lasker (sitzend), Aljechin, Capablanca, Marshall (stehend) und Tarrasch (sitzend) Quelle: Wikipedia

In der Siegergruppe, in der sich das Quintett doppelrundig maß, trumpfte Lasker besonders auf. Der Weltmeister gewann sechs Partien und remisierte nur zwei. Mit 13,5 Punkten überholte er den in der Vorrunde noch weit in Front liegenden Capablanca (13) und verdiente sich 1 200 Rubel Preisgeld. Aljechin (10) wurde Dritter. Dieses Trio beherrschte auch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs den Denksport – lediglich Aljechin verlor einmal kurzzeitig den WM-Titel an den Niederländer Max Euwe. Tarrasch (8,5) hatte wie Marshall (8) in dem Feld nichts zu bestellen und fügte seiner Habenseite lediglich zwei weitere Zähler hinzu.
Nachstehend die erste Endrunden-Begegnung zwischen dem amtierenden Weltmeister Lasker und dem auf Capablanca folgenden Aljechin.

W: Lasker S: Aljechin
1.d4 d5 2.c4 e5 Das Budapester Gambit. 3.dxe5 d4 4.Sf3 Sc6 5.a3 Lg4 6.Sbd2 De7 7.h3 Lxf3 8.Sxf3 0–0–0 9.Dd3 h6?! Etwas langsam. Die Zeitverschwendung kann sich in scharfen Stellungen wie dieser rächen. g6! 10.Lg5 Sxe5! 11.Sxe5 f6! 12.Sc6 bxc6 13.Ld2 Lh6 gefällt Schachprogrammen, weil es zum Ausgleich führt. 10.g3 10.b4 ist direkter und greift gleich am Damenflügel an. g6 11.Lg2 Lg7 12.0–0 Sxe5 13.Sxe5 Lxe5 Schwarz hat nun zwar seinen Bauern zurück – aber besitzt weit schlechtere Angriffschancen. Vor allem der Läufer auf g2 hat ohne ein Pendant im schwarzen Lager erhebliches Bedrohungspotenzial. 14.b4 f5 15.c5 De6 16.c6! Se7 bxc6 17.e3 dxe3 18.Da6+ Kd7 19.Lxe3 Lxa1 20.Td1+ Ke7 21.Lc5+ Td6 22.Lxd6+ cxd6 23.Txa1 Kf6 24.Dxc6 Se7 25.Db7 De5 26.Td1 Tc8 27.Dxa7 und Weiß steht auf Gewinn. 17.cxb7+ Kb8 18.Lb2 Td6? Sd5 ist stärker, aber rettet Aljechin langfristig auch nicht. 19.Tac1 Thd8 20.Tc2 f4 21.gxf4 Lxf4 22.Td1 Sf5! 23.Lc1? 23.Dc4 Dxc4 24.Txc4 bewahrt einigen Vorteil im Endspiel. Se3!! Ein Taktiker wie der Russe lässt sich solch eine Möglichkeit selten entgehen. 24.Tc5 24.fxe3 reicht nur knapp für ein Remis: dxe3 25.Tc6! Alles andere verliert rasch. Txd3 26.Txd3 Txd3 27.Txe6 Td1+ 28.Lf1 Txc1 29.Txg6 Kxb7 und die Partie sollte friedlich enden. Df6 25.De4! 25.Te1 Sxg2 26.Kxg2 mit Ausgleich. Sxd1 Lh2+ ist präziser. 26.Kxh2 Sxd1 27.Lf4 Sc3 28.Lxd6 Dxd6+ 29.De5 Sxe2 30.Dxd6 cxd6 31.Td5 Sf4 32.Txd4 Sxg2 33.Kxg2 d5 34.Kf3 Kxb7 mit Ausgleich. 26.Lxf4 Sc3? Sxf2 hält die Stellung in der Waage. 27.Lxd6 Txd6 28.De5 d3 29.exd3 Sxd3 30.Dxf6 Txf6 31.Td5 Td6 32.Txd6 cxd6 33.Kh2 Sf4 34.Lc6 g5 35.Kg3 d5 36.h4 d4 37.hxg5 hxg5 38.Kf3 d3 39.Ke3 a6.

27.Lxd6 Dxd6 Sxe4 scheitert an 28.Lxc7+ Kxb7 29.Lxe4+ Kc8 (Ka6 30.Ta5 matt) 30.Le5+ Kd7 31.Lxf6. 28.De5 Db6? Ein Patzer. Tf8 erscheint als beste Fortsetzung. 29.De7? 29.Tc6! gewinnt. Beide Recken sahen wohl nur Dxb7 30.Txc3? dxc3! 31.Lxb7 c2 32.Lf3 c1D+ 33.Kh2 Dg5 34.De4 c6 35.Dxc6 De5+ 36.Kg2 Dg5+ 37.Kh2 De5+ mit Dauerschach. Nach 29.Tc6 Dxb7 gewinnt jedoch ein ruhiger Zug wie 30.h4! Schwarz ist paralysiert: Sa4 31.Tc4 Db6 32.De4 Kc8 33.Da8+ Kd7 34.Dd5+ Ke8 35.De5+ Kf8 36.Txc7. Dd6 30.Te5 d3 g5 verliert ebenso langfristig. 31.Dxd6 cxd6 32.Te6 d5 33.Kf1 Kxb7 34.Txh6. 31.exd3 Dxd3 32.Te3 Dd1+ 33.Kh2 Sb5 34.Te6 Sxa3 35.Tf6 Aljechin gab auf wegen Sc4 36.Tf8. 1:0.


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