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Naiditsch der wahre Sieger

Carlsen beweist in der WM-Neuauflage enorme Rechenqualitäten
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Anand – Carlsen: Schwarz durchkreuzt den weißen Opferangriff

Von Hartmut Metz
„Ich habe keine Kraft mehr zum Feiern“, gestand Magnus Carlsen. Dabei hatte den Schach-Weltmeister weniger der neunstündige Arbeitstag bis kurz vor Mitternacht geschlaucht. Vielmehr strapazierte ein Deutscher die Nerven des Norwegers bis aufs Äußerste: Arkadij Naiditsch. Der Weltranglisten-38. bot der Elite bei den Grenke Chess Classic die Stirn – und nach sieben Runden in Baden-Baden lag nur Carlsen mit 4,5 Punkten gleichauf (wir berichteten). Selbst im Stichkampf musste der Topfavorit zweimal in die Verlängerung der Verlängerung, ehe der Großmeister aus Sandweier die fünfte Blitzpartie verlor. „Schön, dass ich trotz des Einbruchs in der zweiten Schnellschach-Partie gewann“, sagte Carlsen und strahlte erleichtert. Auch wenn der 24-Jährige damit den Pokal mit nach Hause nehmen durfte, darf sich Naiditsch als wahrer Sieger fühlen. Seinen großen Worten vor dem Turnier („Ich bin nicht der Hase, auf den jeder draufhaut“) ließ die deutsche Nummer eins Taten gegen die Weltklasse-Konkurrenten folgen. „Insgesamt habe ich ein gutes Turnier gespielt“, stellte der 29-Jährige daher ungeachtet des soeben verlorenen Tiebreaks fest. Vor allem bezwang er als einziger Carlsen
– und machte so als erster Deutscher seit Emanuel Lasker anno 1894 zwei Siege über den Weltmeister in Folge perfekt. „Allein wegen des Siegs im direkten Vergleich hätte Naiditsch den ersten Platz verdient“, befand der englische Kommentator Nigel Short.
Carlsen zeigte nach der Niederlage einmal mehr Kämpferqualitäten. Umgehend schlug der Weltranglistenerste in der Neuauflage der letzten zwei WM-Duelle seinen Vorgänger auf dem Thron, Viswanathan Anand. Für den Inder ging es nach der Niederlage steil bergab, er wurde nur Vorletzter. Carlsen bewies in der Partie allerdings einmal mehr seine exzellenten Rechenqualitäten; der Norweger sah weit tiefer in die Stellung als Anand.

W: Anand S: Carlsen
1.d4 Anand eröffnet wie bei der WM 2014 mit dem Damenbauern. f5!? Norwegischer Humor oder Sturköpfigkeit? Obwohl Carlsen mit Holländisch gegen Anands Sekundanten Radoslav Wojtaszek kurz zuvor in Wijk aan Zee verlor, probiert der Weltmeister erneut f5. 2.g3 Sf6 3.Lg2 e6 4.c4 c6 5.Sf3 d5 Carlsen wendet den Stonewall an. Vorteil dabei: Das Zentrum ist gefestigt, vor allem e4 wird kontrolliert. Gelingt es jedoch Weiß, diese Festung zu knacken (etwa mit f3 und e4), bekommt Schwarz Probleme mit dem Bauern auf e6 und einer offenen Königsstellung. Noch wichtiger ist allerdings: Schwarz schwächt das Feld e5 enorm, weshalb sich dort gerne ein weißer Springer einnistet, der durch keinen Bauern mehr vertrieben werden kann. Weiterer Nachteil: Der Läufer auf c8 hat vorerst keine Betätigungsmöglichkeit und fungiert eher als Großbauer. 6.0–0 Ld6 7.b3 De7 8.Se5 0–0 9.Sd2 a5 10.Lb2 Sbd7 11.Dc2 a4 12.Sdf3 Anand hat e5 unter Kontrolle genommen. Carlsen spielt derweil erst einmal auf der a-Linie. Se4 13.e3 13.Tad1 kommt in Betracht, um nach a3 den Läufer auf a1 zu verstecken. Anand fürchtet aber den Abtausch nicht. Schließlich steht der Springer auf e4 maximal aktiv. a3 14.Lc3 Sxe5 15.Sxe5 Ld7 16.Sxd7 Ein überraschender Zug. Selbst wenn der Läufer droht, über e8 auf h5 ein aktiveres Feld zu finden, steht der Springer dennoch weiterhin mächtiger auf e5. Dxd7 17.c5 Lc7 18.b4 h5 19.Le1!? 19.f3 Sxc3 20.Dxc3 ist ambitionsloser. Danach kann Schwarz höchstens ein Remis herausholen. Weiß hat eventuell den Hebel b5 und kann den Bauern auf a3 ins Visier nehmen. e5! 20.dxe5 20.f3 ist erneut die sicherere Fortsetzung. Sf6 21.Lc3 e4 22.f4 mit Ausgleich. Lxe5 21.Td1 De6 22.f3 Sf6 23.Lh3 g6 24.e4!? Nun wird die bisher so ruhige Stellung schärfer. dxe4 25.fxe4 Lb2! Die Pointe von Carlsens Spiel. Der Bauer auf a2 ist schwach. Fällt er, wird sein Pendant auf a3 in Verbindung mit dem Läufer und dem Turm dahinter enorm stark. 26.exf5 Dxa2 27.Lf2 Leider ein erforderlicher Zwischenzug. Könnte Weiß auf g6 weiternehmen, stünde Schwarz platt. 27.fxg6?? Ld4+ 28.Txd4 Dxc2 verliert indes die Dame. g5! Der Weltmeister hat die Stellung sehr präzise vorausberechnet und schließt sie nun, damit sein König nicht in die Schusslinie gerät. 28.Tfe1 Df7 29.Te6 Sg4! Tfe8 wirkt weniger überzeugend und führt zu einer ausgeglichenen Position. 30.Lxg4 hxg4 31.Tg6+ Kh7

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32.Td7?? Das sieht nach einer fantastischen Kombination aus – doch Anand entging ein schwarzer Konter, den Carlsen sicher schon viel früher vorhergesehen hatte und das Turmopfer so als Fehler enttarnte! Allein der Rückzug 32.Te6 hält Weiß im Spiel, gleichwohl es für den Nachziehenden fortan besser aussieht: Tfe8 bietet Schwarz bessere Aussichten. Am besten scheint noch 33.Ted6 zu sein (33.Tde1 Kg8 34.Dc4 Txe6 35.fxe6 De7 36.Db3 Kg7 37.Td1 Td8 38.Te1 – 38.Txd8 Dxd8 39.Le3 Dd5 endet rasch – Df6 39.Te2 Ta8 40.Da2 Te8 41.Dc4 Te7 42.Te4 Kg6 43.Te2 Dc3 44.Da2 Dd3 45.Te1 Dd5 46.Db1+ Kh6 47.Td1 a2 48.Dc2 a1D) Kg8 34.Ld4 Lxd4+ 35.T6xd4 a2 36.Ta1 Te5 37.Tdd1 Txf5 Der a-Bauer bleibt zwar ein Pfahl im Fleisch des „Tigers von Madras“ – doch auf Grund der offenen Königsstellung darf der Inder immer noch auf ein Remis hoffen. Bei 32.Te6 verzichtet Schwarz auf Dxf5?, wickelt das doch nur ins Remis ab: 33.Td7+ Kg8 34.Tg6+ Kh8 35.Th6+ Kg8 36.Tg6+ mit Dauerschach, während 36.Dc4+ verliert: Tf7 37.Txf7 Dxf7 38.Tg6+ Kf8 39.Dd3 Dd5. Dxd7 33.f6

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Dd1+!! Diese schöne Ablenkung entging dem Ex-Weltmeister. Allerdings hätte selbst Txf6 34.Txf6+ Kg8 35.Tg6+ Kf8 36.Td6 Df7 37.Td1 Lf6 gereicht. Gegen den Durchmarsch des Bauern zur Dame auf a1 ist nichts mehr zu erfinden. 33…Lxf6 führt hingegen nur zum Dauerschach: 34.Txf6+ Kg8 35.Tg6+ Kh8. Schwarz darf nur nur nicht Kf7?? wagen: 36.Td6! Dc8 – De7 37.Dg6 – 37.Dh7+ Ke8 38.De4+ Kf7 39.Ld4 a2 40.Tf6+ Kg7 41.Dg6+ Kh8 42.Txf8 matt. 34.Dxd1 Kxg6 35.Dd3+ Kh6 36.h4 gxh3 Anand gab auf wegen 37.Dd7 Txf6 38.Dxh3+ Kg6 39.g4 a2 40.Dd3+ Kh6 41.Dh3+ Kg7 und Weiß hat keine Schachs mehr. 0:1.

Partie online:

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