Reti – Tartakower: Weiß zieht und setzt – hübsch-hässlich – Matt in 3

Hypermoderner Revolutionär ändert seinen Stil radikal
Von Hartmut Metz
Die „Eröffnung der Zukunft“ nannte Savielly Tartakower die neue Idee weitsichtig. Der Springerschritt von g1 nach f3 erfreut sich noch heute als erster Zug großer Beliebtheit und hält die Erinnerung an den Namen seines Erfinders wach: Reti. Der vor 125 Jahren geborene Namensgeber zählt zu den Größen, die am meisten zur Entwicklung des Schachs beitrugen. Die Ideen der sogenannten Hypermodernen aus den 20er Jahren prägen den Denksport. Der am 28. Mai 1889 in Petschinok bei Bratislava geborene Ausnahmekönner galt dabei nicht als sonderliches Talent. Bei seinem ersten großen Turnier 1908 in Wien blamierte sich der 19-Jährige mit lediglich drei Remis in 19 Partien. Doch durch sehr viel Arbeit steigerte der Tscheche seine Spielstärke in den nächsten Jahren enorm und gewann nach dem Ersten Weltkrieg ein Dutzend Turniere – auch sein letztes in Stockholm. Am 6. Juni 1929 starb Reti mit nur 40 Jahren an Scharlach. Sein Zuwachs an Spielstärke fußte auch darauf, dass er die Ideen der Hypermodernen wie Aaron Nimzowitsch oder seines Freundes Gyula Breyer aufsaugte und weiterentwickelte. Nachdem Reti in seinen Anfängen oft tollkühn angriff, verstand er es bei seinem radikalen Stilwechsel, wie wichtig flexible Eröffnungssysteme sind und dass man auch Figurendruck auf ein starkes gegnerisches Zentrum ausüben kann – ohne die eigenen Bauern vorschnell vorzurücken. „Wir kombinieren positionell“, schrieb Reti in seinem Klassiker „Neue Ideen im Schach“. Der spätere Weltmeister Alexander Aljechin, der ein wahrer Kombinationsteufel war, gestand nach einem Duell 1922 in Wien: „Reti ist der einzige Meister, dessen Züge für mich oft völlig überraschend sind.“ Neben dem oben genannten Buch gehört zudem sein „Die Meister des Schachbretts“ zu den bedeutenden Werken des königlichen Spiels.
Den Ideen mit Läuferfianchettos verhalf Reti vor allem mit einem Sieg zum Durchbruch: 1924 in New York bezwang der Großmeister den für unschlagbar gehaltenen José Raúl Capablanca. Der Weltmeister aus Kuba hatte zuvor acht Jahre lang keine Partie verloren! Danach wurde das Eröffnungssystem mit 1.Sf3 d5 2.c4 nach Reti benannt.
Der Theoretiker war auch ein exzellenter Komponist von Endspiel-Studien. 1925 stellte Reti einen Weltrekord im Blindspiel auf: 21 seiner 29 Simultan-Gegner schlug er, remisierte sechs Vergleiche und verlor nur zwei Partien.
Der enorme Respekt Tartakowers vor seinem Schüler Reti fußt vielleicht auch auf einer Partie, die Letzterer in Wien 1910 in nur elf Zügen mit einem Matt abschloss.

W: Reti S: Tartakower
1.e4 c6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Sf6 5.Dd3 e5 6.dxe5 Da5+ 7.Ld2 Dxe5 8.0–0–0 Sxe4

9.Dd8+!! Kxd8 10.Lg5+ Kc7 Oder Ke8 11.Td8 matt. 11.Ld8 matt.

Dass Reti vor seinem Wandel zum hypermodernen Positionsspieler ein begnadeter Taktiker war, belegte er 1920 in Amsterdam. Der spätere Weltmeister Max Euwe verlor ein Match mit 1:3 und zog in der folgenden Begegnung in nur 20 Zügen den Kürzeren.

W: Euwe S Reti
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.d4 exd4 5.0–0 Sxe4 6.Te1 d5 7.Lxd5 Dxd5 8.Sc3 Da5 9.Sxd4? Ein Schnitzer des späteren Weltmeisters. 9.Sxe4 Le6 10.Seg5 0–0–0 11.Sxe6 fxe6 12.Txe6 Le7 führt zum Ausgleich. Sxd4 10.Dxd4 f5 11.Lg5 Der vermeintliche Rückgewinn der Figur mittels 11.f3? endet im Fiasko wegen Lc5 und Damenverlust. Dc5! 12.Dd8+ Kf7 13.Sxe4 fxe4 14.Tad1 14.Txe4 Lf5 15.Dxa8 Lxe4 16.Le3 De5 17.Td1 Lc6 pariert alle Drohungen. Ld6! Geht zum Gegenangriff über. 15.Dxh8 Dxg5 16.f4 16.Dxh7 Lf5 17.Td5 Dxg2+ 18.Kxg2 Lxh7 ist hoffnungslos. Die zwei Läufer sind weit stärker als der Turm. Dh4 17.Txe4

Lh3!! Ein glänzender Entscheidungszug. 18.Dxa8 Weiß hat keine große Wahl. Andere Züge retten genauso wenig. Lc5+ 19.Kh1 Lxg2+! Das Matt ist nicht mehr zu verhindern. 20.Kxg2 Dg4+ 21.Kf1 Df3+ 22.Ke1 Df2 matt.

Die berühmteste Partie von Reti dürfte sein einziger Sieg über Capablanca 1924 sein, mit dem er die acht Jahre dauernde Serie des Kubaners beendete.


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