Kasparow – Topalow: Ein letztes Opfer von Weiß gewinnt

Putin-Kritiker nimmt neue Staatsbürgerschaft an / Duell der Schach-Diktatoren: Kasparow will Iljumschinow als FIDE-Präsident ablösen
Von Hartmut Metz
Garri Kasparow ist 2005 als Weltranglistenerster zurückgetreten. Doch auch fern des Schachbretts sorgte das „Ungeheuer von Baku“ danach immer wieder für Schlagzeilen. So erfolgreich wie auf den 64 Feldern bewegte sich der inzwischen 50-Jährige aber nirgends mehr. Immerhin verdient der Ex-Weltmeister Respekt für seine couragierten Auftritte in Russland, wo er mutig Wladimir Putin kritisierte. Doch nach seiner Verhaftung vor 18 Monaten während einer Demonstration für die Punk-Band Pussy Riot und wenig erfolgreicher Opposition hat der in Aserbaidschan als Garik Weinstein geborene Politiker Russland im Juni 2013 den Rücken gekehrt. Vergangene Woche nahm Kasparow die kroatische Staatsbürgerschaft an. Die Verleihung an das Schach-Genie übernahm dabei der kroatische Ministerpräsidenten Zoran Milanovic persönlich an seinem Amtssitz! Ein Beleg für den hohen Stellenwert, den der Denksport im ehemaligen Jugoslawien noch immer besitzt. Kasparow hat schon lange gute Beziehungen nach Kroatien, ihm soll auch ein Haus im kroatischen Badeort Makarska gehören. Statt sich fruchtlos mit der russischen Politik zu beschäftigen, tummelt sich Kasparow nun wieder auf einem alten Spielfeld: der Schach-Politik. Er will den zwielichtigen Kalmücken Kirsan Iljumschinow als Präsident des Weltverbandes FIDE beerben. Mit Ignatius Leong hat er einen mächtigen Verbündeten gewonnen. Der Mann aus Singapur war bisher ein Getreuer Iljumschinows, hat nun aber das Amt als FIDE-Generalsekretär aufgegeben. Wer bei der Schlammschlacht die Oberhand behält, lässt sich kaum prognostizieren – Kasparow fiel wie Iljumschinow bisher im Schach eher selten als Demokrat auf, sondern gebärdete sich in Machtposition stets wie ein Diktator. Der mächtige russische Verband steht jedenfalls hinter Iljumschinow.
Während Kasparow als Person einen zweifelhaften Ruf genießt, ist er als Schachspieler einer der Größten aller Zeiten! Besonderen Glanz besitzt sein Sieg 1999 gegen den Bulgaren Wesselin Topalow im niederländischen Küstenörtchen Wijk aan Zee. Die permanenten Turmopfer machen die nachstehende Partie zu einer der schönsten der Schach-Geschichte. Bei einer Umfrage der Hamburger Softwareschmiede Chessbase kam sie auf Platz zwei hinter der „Partie des Jahrhunderts“ zwischen Donald Byrne und Bobby Fischer, die der 13-Jährige 1956 gewann. Die Begegnung war beeindruckend – aber der nachfolgende Sieg Kasparows war weit schwerer vorherzusehen als Fischers Erfolg.

W: Kasparow S: Topalow
1.e4 d6 2.d4 Sf6 3.Sc3 g6 4.Le3 Lg7 5.Dd2 c6 6.f3 b5 7.Sge2 Sbd7 8.Lh6 Lxh6 9.Dxh6 Lb7 10.a3! e5 11.0–0–0 De7 Interessant ist a6!? 12.Kb1 Dc7 13.dxe5 dxe5 14.Dg7 Ke7!? 12.Kb1 a6 13.Sc1! 0–0–0 14.Sb3 exd4!? 15.Txd4 c5 16.Td1 Sb6 17.g3 Kb8 18.Sa5 La8 19.Lh3 d5 20.Df4+ Ka7 21.The1 d4 Lubomir Ftacnik konstatiert, dass Schwarz gut aus der Eröffnung gekommen ist, aber die Stellung sei „ein bisschen gefährlich“. Die Stellungsöffnung mittels dxe4 nennt Ftacnik „Selbstmord“. 22.fxe4 Sxe4 (Txd1+ 23.Txd1 Sxe4 24.Td7+! Sxd7 25.Dc7+ Lb7 26.Dxb7 matt) 23.Sxe4 Txd1+ 24.Txd1 Lxe4 25.Te1 Te8 26.Txe4! Dxe4 27.Dc7+ Ka8 28.Sc6 und gewinnt. 22.Sd5! Öffnet die Stellung. Alles andere wäre zu passiv. Sbxd5 Sfxd5? 23.exd5 Dd6 24.Dxf7+ Sd7 25.Sc6+ Lxc6 26.dxc6 Dxc6 27.Te7 kostet eine Figur. 23.exd5 Dd6 24.Txd4!! Hebt zu einer großartigen Kombination an. 24.Dxd6? Txd6 25.b4 cxb4 26.axb4 Sxd5 führt in eine Ruine, weil sich 27.Txd4 wegen Sc3+ 28.Kb2 Sa4+ 29.Kb3 Txd4 verbietet. 24.Sc6+ ist noch eher spielbar: Lxc6 25.Dxd6 Txd6 26.dxc6 Txc6 27.Te7+ Kb6 28.Txf7 Te8 29.Lf1 Tce6 und Weiß hält sich in der Remisbreite. cxd4? Mit Kb6! 25.b4 Dxf4 26.Txf4 Sxd5 27.Txf7 cxb4 28.axb4 Sxb4 29.Sb3 Ld5 30.Tf6+ Sc6 31.f4 sichert sich Schwarz die etwas besseren Aussichten. 24…Lxd5!? 25.Txd5! Sxd5! hält die Stellung ausgeglichen (hier verbietet sich nur Dxf4? 26.Txd8 Dh6 – Dc7 27.Txh8 Dxa5 28.Te7+ – 27.Te7+ Kb6 28.b4! mit baldigem Matt) 26.Dxf7+ Sc7 27.Te6 Dd1+! 28.Ka2 Td7 29.Te7 Dd5+! 30.Dxd5 Txd5 31.Txc7+ Kb6 32.Tc6+ Kxa5 33.Lc8 Txc8 34.Txc8 c4.

25.Te7+!! Die kaum vorherzusehende Pointe der Kombination. 25.Dxd4+? Db6! 26.Te7+ Sd7 27.Txd7+ (27.Dc3 Dg1+) Txd7 28.Dxh8 Txd5 und Schwarz hat eine Qualität mehr. Kb6! Dxe7? 26.Dxd4+ Kb8 27.Db6+ Lb7 28.Sc6+ Ka8 29.Da7 matt. Bei 25…Kb8 folgt 26.Dxd4 Sd7 (Dxe7 führt zum Matt wie in der vorherigen Variante) 27.Lxd7 Lxd5 28.c4! Dxe7 (Txd7 29.Txd7 Dxd7 30.Dxh8+) 29.Db6+ Ka8 30.Dxa6+ Kb8 31.Db6+ Ka8 32.Lc6+ Lxc6 33.Sxc6 Td1+ 34.Ka2 und gegen das Damenschach auf a6 gibt es keine gute Verteidigung mehr: Td7 35.Sxe7 Txe7 36.Dc6+ Tb7 37.cxb5. 26.Dxd4+ Kxa5 Dc5 27.Dxf6+ Dd6 28.Le6!! Lxd5 29.b4 The8 (Lxe6 30.Tb7 matt) 30.Dd4+ Dc5 31.Dxc5 matt. 27.b4+ Ka4 28.Dc3? Einen grandiosen Gewinnweg fand später der amerikanische Großmeister Lubomir Kavalek: 28.Ta7! Lb7 (Sxd5 erlaubt ein weiteres Turmopfer samt einem wundervollen Matt: 29.Txa6+!! Dxa6 30.Db2 Sc3+ 31.Dxc3 Ld5 32.Kb2 Tc8 33.Db3+!! Lxb3 34.cxb3 matt!) 29.Txb7 Dxd5 (Sxd5 30.Ld7!! Ta8 – oder Txd7 31.Db2 Sc3+ 32.Dxc3 Dd1+ 33.Kb2 Td3 34.Ta7! mit Gewinn – 31.Lxb5+ axb5 32.Ta7+ Da6 33.Dxd5 Dxa7 34.Db3 matt) 30.Tb6!! Ta8 – oder a5 (Dxd4 31.Txa6 matt) 31.Ta6 Ta8 32.De3!! Txa6 (The8 33.Txa8 Txa8 34.Kb2+–) 33.Kb2 axb4 34.axb4 Kxb4 35.Dc3+ Ka4 36.Da3 matt – 31.Dxf6 a5 32.Lf1+– Dd1+ 33.Kb2 Dxf1 34.Dc3 Dc4 35.Db3+ Dxb3+ 36.cxb3 matt. Diagramm

Eine fantastische Schlussstellung – wie gemalt! So ein Matt hat man wohl vorher nie gesehen. Dxd5 Lxd5? 29.Kb2 gestattet einmal mehr das Damenopfer auf b3. 29.Ta7 29.Kb2? Dd4. Lb7 30.Txb7 30.Dc7? Dd1+ 31.Ka2 Ld5+ 32.Kb2 Dd4+ 33.Kb1 Dd1+ mit Dauerschach. Dc4 The8 31.Tb6 (31.Ta7? verliert: Td6 32.Kb2 De5) Ta8 32.Lf1!!+– (Droht 33.Td6. Hingegen reicht 32.Le6 Txe6 33.Txe6 Dc4! 34.Dxc4 bxc4 35.Txf6 Kxa3 36.Txf7 Te8= nicht) Tec8! 33.Dxc8 Dd1+ 34.Kb2 Dd4+ 35.Ka2 Dd5+ 36.Lc4 Dxc4+ 37.Dxc4 bxc4 38.Txf6 Ta7 39.Kb2 a5 40.Tb6 h5 41.f4 und das Turmendspiel ist verloren. 31.Dxf6 Kxa3?! Den Zug kann man verstehen nach der ermüdenden Verteidigung. Doch an dieser Stelle bietet Td1+ mehr Gegenwehr. 32.Kb2 Ta8 (Dd4+ verliert: 33.Dxd4 Txd4 34.Txf7 Td6 35.Te7 und gegen die Idee Le6 nebst Lb3 matt gibt es keine gute Verteidigung) 33.Db6 Dd4+ (a5 34.Ld7! Td5 35.De3 axb4 36.Ta7+ Txa7 37.Dxa7 matt) 34.Dxd4 Txd4 35.Txf7 a5 36.Le6 axb4 37.Lb3+ Ka5 38.axb4+ Txb4 (Kb6 39.Txh7 ist hoffnungslos bei Läufer und drei Bauern gegen Turm) 39.c3 Tc4 40.Lxc4 bxc4 41.Txh7 Te8 42.Th4 Kb5 43.Te4 mit Gewinnstellung. Schneller zu Ende ist es mit Schwarz bei 31…Ta8? 32.Db6 a5 33.Ld7. 32.Dxa6+ Kxb4 33.c3+! Nur so! Kxc3 Kb3 34.Da2+ Kxc3 35.Db2+ Kd3 36.Te7! mit baldigem Matt. 34.Da1+ Kd2 Kb4 reicht nicht: 35.Db2+ Ka5 (Db3 36.Txb5+) 36.Da3+ Da4 37.Ta7+ Kb6 38.Txa4 bxa4 39.Db4+. 35.Db2+ Kd1 Ke3? 36.Te7+ oder 35…Ke1 36.Te7+ Kd1 37.Lf1! verläuft wie die Partie. 36.Lf1! Td2 Dxf1 37.Dc2+ Ke1 38.Te7+ De2 39.Dxe2 matt. 37.Td7! Ein letztes sehenswertes Turmopfer! Txd7 38.Lxc4 bxc4 39.Dxh8 Td3 Tb7+ 40.Ka2 Kc2 41.Dd4. 40.Da8 c3 41.Da4+ Ke1 Kd2 42.Dc2+. 42.f4 f5 43.Kc1 Td2 44.Da7 1:0.


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