Harald Fietz interviewt Hartmut Metz für Schach-Magazin 64 / Spaß mit „Siegbert Tarrasch ist wieder da“
Schachkalender 2017

Der „Schachkalender“ erscheint unverwüstlich seit 34 Jahren – und hat treue Fans und neue Anhänger gefunden. Auch 2017 bietet das kleine Bändchen für 15,80 Euro unheimlich viel als Lesebuch wie als kleines Schach-Lexikon, das schöne Hinweise auf historische Jubiläen gibt. Der Berliner Schachverleger Arno Nickel hat in seiner „Edition Marco“ das frühere Softcover auf Hardcover mit Fadenbindung und über 300 Seiten umgestellt. 2017 überraschte der gute Bekannte von Rochade-Mitglied Harald Fietz mit einem zweiten Band, der halb so dick ist, aber doppelt so groß – ob es mit der zunehmenden Kurzsichtigkeit zusammenhängt, die die alten Fans plagt? Auf jeden Fall ist es erfreulich, dass die Käufer nun zwischen zwei „Schachkalendern“ die Wahl haben. Der größere kostet zwar mit 19,80 Euro vier Euro mehr, liefert dafür aber auch eine CD mit Bonusmaterial, die pdfs mit den Inhalten und vor allem Partien in datenbanküblichen Formaten enthält. So können die Leser auch am PC die Partien mühelos nachspielen.

Hartmut Metz (links) und Harald Fietz lassen es sich in einem Café in Kreuzberg gutgehen.

Der Berliner Harald Fietz stellte im Schach-Magazin 64 den gewohnt schönen „Schachkalender 2017“ vor und machte überdies ein kurzes Interview mit Hartmut Metz – schließlich ist sein Vereinskamerad nicht nur langjähriger Mitarbeiter beim Schach-Magazin 64 und lieferte zudem für das aktuelle Dezember-Heft mehrere interessante Beiträge zur Deutschen Meisterschaft in Lübeck (wir berichteten auf der Homepage, vor allem über die unterhaltsame Dopingprobe). Metz schreibt auch seit einigen Jahren für den „Schachkalender“, weil er diesen besonders schätzt. Mit freundlicher Genehmigung von Chefredakteur Otto Borik darf die Webseite das Interview von Fietz mit Metz abdrucken:
SM64: Seit wann ist der Schach-Kalender Begleiter in Deinem Schachleben und was gefällt Dir daran?
Metz: Obwohl ich eigentlich sonst kein Sammler bin, habe ich den Schachkalender seit 1989 jedes Jahr gekauft und alle Bändchen im Regal stehen. Was ich seit Anbeginn praktisch fand, waren die Erwähnungen aller historischen Jubiläen. Das verschaffte mir stets einen exzellenten Überblick, so dass ich diese zum runden Geburtstag in meinen Schachspalten beleuchten konnte. Überdies finde ich es immer schön, im Schachkalender Anekdoten und Themen zu finden, die man sonst selten zu lesen bekommt. Ich kaufe daher jedes Jahr gerne an die zehn Exemplare des Schachkalenders und schenke die Freunden zu Weihnachten, was immer gut ankommt.

SM64: Wie ergab sich die Zusammenarbeit mit dem Schachkalender und welche Art von Beiträgen schwebt Dir vor bzw. welche liest Du selbst gerne?
Metz: Es muss wohl 2012 gewesen sein, als mich Arno Nickel fragte, ob ich auch mal etwas zum Schachkalender beisteuern möchte. Ich war jedenfalls ab 2013 gerne dabei, weil mir der Schachkalender stets ausgezeichnet gefiel. Zudem schien es mir, dass ich da noch mehr Humorvolles verbreiten könnte, wofür ich doch ein ziemliches Faible habe. Zumindest halte ich meine witzigen Artikel für die besseren … Zum Auftakt machte ich eine Untersuchung, wie die Spieler ihre Springer postieren. Es bestätigte sich auch bei einer folgenden Umfrage, dass Angriffsspieler sie meist nach vorne blicken lassen, während eher positionelle Naturen sie seitlich – meist sich direkt zugewandt – postieren. Die „Untersuchung“ stößt heute noch ab und zu auf Interesse. Ich dachte auch erst gestern mal wieder daran, als ich im Pokal-Kampf einen weißen Springer nach a7 zog und ihn nach vorne blicken ließ. Ausnahmsweise fand ich das merkwürdig, weil er dort eigentlich trostlos und verloren ins „Leere starrte“. Aber da es die Qualität gewann und den Turm rasch schlug, stellte ich den Schimmel wie immer.
Am liebsten lese ich die historischen Abhandlungen. Robert Hübner greift regelmäßig mit äußerster Akribie vergessene Themen auf wie die der Beratungspartien. Wladimir Barski überzeugt mich außerdem immer mit seinen Einblicken in die russische Schachseele. Dass Mark Dworetzki seine Würdigung nicht mehr lesen konnte, ist schade. Schön und typisch fand ich, dass Arno Nickel nun in jedes Bändchen vorne einen gelben Zettel hineinklebte und auf Dworetzkis Tod hinwies. Das zeugt von seiner Liebe zu seinem Schachkalender.
SM64: Ein fiktionaler Schach-Artikel schlägt aus der Reihe. Wie kam es dazu, einen Mehrteiler zu konzipieren, der 2016 begann und nun fortgeführt wird, und warum dieses Thema mit diesen Protagonisten, das heißt Siegbert Tarrasch und Viswanathan Anand auf der Bühne einer Zeitreise?
Metz:
Ich war amüsiert von dem Bestseller „Er ist wieder da“, in dem Adolf Hitler in der Bundesrepublik wieder aufersteht und so ziemlich alles missversteht – aber auch zum Medienstar aufsteigt, weil alle denken, er sei eine geniale Kopie des Führers. Daher überlegte ich mir, wie es wäre, wenn ein Altmeister ebenso wieder erwacht. Der muss sich ja heutzutage die Augen reiben, wenn kleine, merkwürdige Kästchen besser Schach spielen können als die aktuellen Champions. Ich überlegte deshalb, wen ich wiederbeleben könnte – und Siegbert Tarrasch schien mir als selbstverliebter Dogmatiker am besten geeignet, um zahlreiche Missverständnisse entstehen zu lassen, wenn er mitten in Baden-Baden aufwacht nach 82 Jahren und in das alljährliche Mannschaftssimultan der OSG Baden-Baden mit deren Stars und einem Inder – vermutlich Mir Sultan Khan – gerät. Bei der Adaption gibt es zwei Herausforderungen: Wie bei „Er ist wieder da“ sollte man einen alt klingenden Sprachduktus des Hauptdarstellers wählen. Zudem überlege ich mir immer, wie es ist, wenn Tarrasch von neuer Technik erfährt. Ein Beispiel: Er hört vom „Alten Fritz“, den er natürlich als Preußen-König kennt – aber ein anderer damit sein Programm „Fritz“ auf dem Smartphone meint. Datenbanken, digitale Schachuhren – das Feld, um „Doc Siggi“ zu überraschen, ist weit. Arno Nickel gefiel das genauso wie mir. Und da ich ein paar weitere lustige Ideen hatte, erschien bereits der zweite Teil. Der Schachkalender-Leser muss wohl auch den dritten Teil 2018 fürchten, nachdem ich bereits schon wieder Ideen sammele, was dem alten Tarrasch widerfährt … (lacht).
Schachkalender 2017, Hg. Arno Nickel, als Hardcover-Taschenformat-Ausgabe, 308 Seiten (A6-Format) ISBN 978-3-9248833-71-8, 15,80 € oder als Lesebuch (mit DVD), 176 Seiten (A5-Format), ISBN 978-3-9248833-72-5 für 19,80 €.
Link zum Schach-Magazin 64, in dem das Interview erschien:
www.schach-magazin.de