Punktgleicher Rasmus Svane weist schlechteren Elo-Schnitt auf / Metz auf Platz 21
DSB-Präsident Herbert Bastian (von links) gratuliert Sergej Kalinitschew zu seinem größten Erfolg. Schiedsrichter Ralph Alt und der schleswig-holsteinische Verbandspräsident Ullrich Krause stehen Spalier. Foto: Plackmeyer

Die 87. Deutschen Meisterschaften in Lübeck endeten dramatisch: Sergej Kalinitschew überflügelte den von Runde eins an führenden Rasmus Svane hauchdünn. Beide Großmeister wiesen nach neun Partien sieben Punkte auf – doch für den Kreuzberger gab der höhere Elo-Durchschnitt der Gegner mit 2332 gegenüber 2316 den Ausschlag als Feinwertung! Tragisch dabei für Svane: Hätte der 19-Jährige wie Kalinitschew nur 2405 Elo auf die Waage gebracht anstatt 2552, wäre er ebenfalls auf 2332 gekommen! Dann hätte ein halber Buchholz mehr für Svane den Ausschlag gegeben. Der 19-jährige ehemalige „Schach-Prinz“ kann sich damit trösten, dass er sicher in Zukunft noch weitere Chancen auf den Titel bekommt. Die Tendenz ist nach Bronze im Vorjahr und nun Silber im heimischen Lübeck offensichtlich … Für Kalinitschew ist der Titelgewinn „mein bisher größter Erfolg.
Ich war mal geteilter Dritter vor zehn Jahren und bin mit der Senator-Betriebssportgruppe in Berlin deutscher Meister geworden“, berichtet der 60-Jährige im Interview mit dem „Schach-Magzin 64“. In der letzten Runde habe er großes Glück gegen Thilo Kabisch (Schmiden-Cannstatt) gehabt. Der Schwabe verpasste nicht nur den Gewinn, sondern stellte sogar noch das bessere Endspiel ein. „Ich dachte, Kalinitschew verliert. Deshalb ging ich kein großes Risiko ein“, erzählt Svane von seinen Gedankengängen während der letzten Runde. Als sich der gebürtige Moskauer gegen Kabisch doch herauswand, war es zu spät für den Topfavoriten. „Da waren nur noch Springer und Bauern auf dem Brett“, bedauert ein enttäuschter Svane.

Hartmut Metz bei der Analyse einer Partie mit Frank Schwarz (rechts). Foto: Plackmeyer

Erstaunlich: Kalinitschew hatte mehr als eineinhalb Jahre kein Turnier mehr gespielt! Weltweit berühmt wurde der Berliner durch den Fall des Betrügers Clemens Allwermann, der ihm in Böblingen ein „Matt in acht Zügen“ angekündigt hatte. Bronze sicherte sich überraschend Karsten Schulz (Schwerin) dank einer starken Leistung und sechs Punkten gegen einen Gegner-Durchschnitt von 2356 Elo. Der badische Meister Alexander Gasthofer (Anderssen Bad Mergentheim) blieb zwar ungeschlagen, remisierte jedoch sechsmal. So verpasste der an Position zwei gesetzte IM (2437 Elo) Bronze. „Dafür“ gewann er mit Metz zusammen als badisches Tandem das letzte Turnier des Gala-Abends – zwölf Spieler (inklusive des neuen Meisters) schlossen ihr Treffen mit Duellen ab, in denen beide Teammitglieder immer abwechselnd zogen. Das war lustig und zeugte von der äußerst angenehmen Atmosphäre in Lübeck.
Angesichts der „besten Verpflegung bei einer deutschen Meisterschaft“ schwärmte nicht nur Turnierdirektor Ralph Alt von den Anstrengungen des Lübecker SV als Ausrichter, der binnen viereinhalb Monaten den Wettbewerb auf die Beine stellte und organisierte. Vereinspräsident Thilo Koop konnte sich außer über viel Lob auch darüber freuen, dass die Meisterschaft dank kurzfristiger Spenden sogar ohne großes Minus ausgehen dürfte. Dass kein Preisgeld angesichts der Kosten von fast 50.000 Euro bezahlt werden konnte, nahmen selbst die Topplatzierten gelassen hin.
Metz kämpfte auch in der letzten Runde an die sechs Stunden – doch sein Kontrahent Ralf Schön (Mendig-Mayen) konnte die Züge wiederholen, weil der Kuppenheimer nach einem interessanten Qualitätsopfer nicht sinnvoll abweichen konnte. Mit lediglich 3,5 Punkten belegte der FM Platz 21 unter 26 Startern. Sicher nicht das, was er sich erhofft hatte. Seine erste deutsche Meisterschaft kostete ihn 30 Elo.
Dafür erhielt Metz wieder zahlreiche interessante Informationen für Artikel, die von einem spannenden Turnier, Dopingproben und den Kandidaten um das Amt des Präsidenten des Deutschen Schachbundes (DSB) berichten werden. Der DSB-Hauptausschuss traf sich ebenfalls zu einer großen Tagung im Holiday Inn. Präsident Herbert Bastian, der selbst fast 20 Mal in Serie mitgespielt hatte und diesmal verzichtete, überreichte die Pokale den drei Siegern. Überdies führte Metz natürlich ein Interview mit dem neuen Champion Sergej Kalinitschew, der ihn in der zweiten Runde bezwungen hatte. All die Beiträge erscheinen im Dezember im „Schach-Magazin 64“ (zudem ein Interview mit dem ehemaligen deutschen Topspieler Arkadij Naiditsch) – und nebenbei erfährt der Leser auch, für wie viel Geld sich Spieler bei der deutschen Meisterschaft 2017 in Apolda einkaufen können …
Die Partien werden nachgereicht. Wegen der Gala zum Abschluss konnte sie der rührige schleswig-holsteinische Verbandspräsident Ullrich Krause am Abend nicht so schnell wie sonst online stellen.

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Infos und Live-Partie-Übertragungen finden sich auf der Webseite des früheren Bundesliga-Spitzenklubs Lübecker SV von 1873