Paul Keres bezwingt neun Weltmeister / Estland feiert 100. Geburtstag des Schach-Idols
Spielmann – Keres: Die schwarze Dame zieht – erst nach einem Zwischenzug

Von Hartmut Metz
Paul Keres ist zumindest Weltmeister der Herzen – in Estland. Bei seiner Beerdigung 1975 in Tallinn nahmen Hunderttausende an dem Staatsbegräbnis in der damaligen Sowjetrepublik teil! Ihren an einem Herz- infarkt gestorbenen Schach-Heros ehrten die Balten nicht nur mit einer Straßenbenennung, sondern nach der Unabhängigkeit auch mit seinem Konterfei auf dem Fünf-Krooni-Geldschein. Zu Beginn des neuen Jahres gab die estnische Staatsbank eine Gedenkmünze heraus, die Keres am Brett zeigt. Am 7. Januar wäre der Großmeister 100 Jahre alt geworden. Diese enorme Popularität verdiente sich der Gentleman durch sein stets untadeliges, freundliches Auftreten. An Erfolgen mangelte es auch nie – allerdings geht Keres als „ewiger Zweiter“ in die Geschichte ein. Von 1953 an wurde er viermal in Folge Zweiter beim Kandi- datenturnier und verpasste so ein WM-Match. Der dreifache sowjetische Meister gewann mehr als 20 internationale Turniere, und der sowjetische Übervater und langjährige Weltmeister Michail Botwinnik hielt den Esten für den „stärksten Turnierkämpfer“ seiner Zeit. Ausnahmekönnern wie Botwinnik setzte der bereits mit 59 Jahren Verstorbene regelmäßig zu:
Keres schlug in seiner Karriere neun einstige, amtierende oder spätere Weltmeister! Die Siegesliste reichte von José Raul Capablanca bis Bobby Fischer. Ein Rekord für die Ewigkeit. Der populäre Autor, der 42 Bücher verfasste, nahm nach dem Tod von Alexander Aljechin am Matchturnier um die WM 1948 teil. Dort teilte er Rang drei. Sein größter Erfolg blieb so der erste Platz beim legendären AVRO-Turnier 1938 in den Niederlanden. Damit erwarb er das Herausforderungsrecht gegen Aljechin – der Zweite Weltkrieg verhinderte jedoch das Duell.
Als Vorbereitung auf das AVRO-Turnier spielte Keres in Noordwijk ein Turnier. Rudolf Spielmann schlug der Este dabei in beeindruckendem Stil – und glänzte einmal mehr mit feinen Zwischenzügen, die sein Spiel kennzeichneten.

W: Spielmann S: Keres
1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.e5 Sfd7 5.f4 c5 6.dxc5 Sc6 7.a3 Lxc5 8.Dg4 g6
0–0 ist ebenfalls spielbar. 9.Sf3 f5 10.exf6 Sxf6. 9.Sf3 a6 10.Ld3 b5 11.b4 La7 12.h4 h5 13.Dg3 De7 14.f5?! Tollkühn! 14.Se2 Lb7 15.c3= ist solider. Lb8 gxf5!? erweist sich als gefährlich und kommt dem Taktiker Spielmann entgegen. 15.Lg5 Df8 16.Lxf5 Dg7! (exf5 führt zu wilden Verwicklungen. 17.Sxd5 Lb8 18.0–0–0 Dg7 19.De1 0–0 20.e6 Da1+ 21.Kd2 Da2 22.exd7 Dxd5+ 23.Kc1 Dc4 mit besseren schwarzen Aussichten) 17.0–0–0 Lb8 mit unklarem Spiel. Eine aufregende Variante dazu: 18.Sxd5! exd5 19.Dh3 Lxe5 20.Txd5 Sb6 21.Tc5 Lb2+ 22.Kb1 Lxa3 23.c3 Lb7 24.Te1+ Kf8 25.Se5 Sxe5 26.Tcxe5 Sc4 27.Te7 Lxb4 28.Txb7 Dxc3 29.Txf7+ Kxf7 30.Lg6+ Kxg6 31.De6+ Kg7 32.Dd7+ Kg8 33.De6+ Kh7 34.Dh6+ Kg8 35.De6+ mit Dauerschach. 15.fxg6? 15.Lf4 gxf5 16.0–0–0 Df8 17.The1 Sb6 18.Df2 Lc7 belässt beiden Seiten Chancen. Sdxe5 16.gxf7+?! 16.Lf4 Sxd3+ 17.cxd3 Df6 18.gxf7+ Ke7 19.Lxb8 Dxc3+ 20.Kf2 Db2+ 21.Kg1 Dxa1+ 22.Kh2 Dxh1+ 23.Kxh1 Txb8 24.Df2 (24.Dc7+ Ld7) Ld7 25.Sg5 sollte Schwarz auch gewinnen. Aber Weiß wehrt sich noch. Dxf7 17.Sg5 Df6 Sg4 ist noch stärker. 18.Df3 (18.Sxf7 Lxg3+) Dg7 19.0–0 Sce5 20.Dg3 Tf8 21.Ld2 Sf3+ 22.Dxf3 Txf3 23.Sxf3 La7+ 24.Kh1 Ld7 25.a4 Le3 26.Le1 bxa4 mit Gewinnstellung. 18.Tf1? Das verliert umgehend. 18.Ld2 lässt Spielmann noch kämpfen. Sg4 19.Df3 De5+ 20.Kd1 Tf8 21.Lg6+ Ke7 22.Sf7 Dg7 23.Lxh5 Sge5 24.Sxe5 Txf3 25.Sxc6+ Kd6 26.Lxf3 Kxc6.

spielmann-keres

Sg4! Keres erweist sich einmal mehr als Meister der feinen Zwischenzüge und kümmert sich nicht gleich um seine Dame. Die Attacke wird erst mit einem Gegenangriff beantwortet. 19.Df3 19.Dxb8? Dxc3+ 20.Kd1 Txb8. Dxc3+ 20.Kd1 Dg7 Lässt nichts anbrennen. Dxa1 21.Df7+ Kd8 22.Sxe6+ Lxe6 23.Dxe6 Kc7 24.Tf7+ Kb6 und Spielmann hat keine ausreichende Fortsetzung. 21.De2 Tf8 22.Txf8+ Kxf8 23.Sxe6+ Lxe6 24.Dxe6 Sf2+ 25.Ke1 Sxd3+ 26.cxd3 und weil fast alle schwarzen Züge gewinnen, streckte Weiß die Waffen. 0:1.

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