Von Patrick Karcher
Im Zusammenspiel zwischen weißfeldrigen Läufern und schwarzfeldrigen Läufern stellen wir fest, dass diese beiden Figuren sich fremder kaum sein könnten. Zwar firmieren beide unter dem gleichen Namen „Läufer“, doch das war´s auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Schauen wir uns deren Kampfbilanzen genauer an: Ein weißfeldriger Läufer kontrolliert weiße Felder und kann nur Figuren auf weißen Feldern angreifen und decken. Für den schwarzfeldrigen Läufer gilt das gleiche für die schwarzen Felder. Das heißt, die beiden Kontrahenten führen niemals Krieg gegeneinander. Sie sind zueinander neutral wie die Schweiz zu Österreich. Doch tragen beide den gleichen Namen. Wieso eigentlich?
Sollte man deren Ungleichartigkeit nicht auch im Namen unterscheiden. Wir könnten statt vom Läufer zu sprechen, einen anderen ehrwürdigen Begriff einführen – oder gar einen Adelstitel verleihen – so wie wir das auch für die edelste aller Figuren – den König – getan haben: Fürst, Graf oder Herzog klingen doch nicht schlecht, oder? So wird aus dem weißfeldrigen Läufer ein Herzog und der schwarzfeldrige Läufer zum Grafen. Im Partiebeispiel wird steht der Herzog auf e6 und der Graf auf f6 und wir stellen fest: Herzog e6 vermag den Grafen f6 nicht zu neutralisieren.
Doch wieso die ganze Mühe mögen Sie einwenden? Die Antwort ist eine Mischung aus Einfachheit und Unterscheidbarkeit. Statt der mühevollen Bezeichnung schwarzer weißfeldriger Läufer könnte man künftig kurz vom schwarzen Herzog sprechen. Das spart schlicht ein Wort bei jedem Begriffsgebrauch. Hinzu kommt der Effekt, dass sich Begriffe über Bilder einprägen und damit das Denken beeinflussen können. Mit dem regelmäßigen Gebrauch werden 32 der 64 Felder mit dem Herzog assoziiert, die anderen 32 Felder mit dem Grafen. Weiterhin sprechen wir bei einer Tauschoperation plötzlich nicht mehr von Springer gegen Läufer, sondern Springer gegen Graf oder Herzog. Übrig bleiben dann Konstellationen, die einen vielleicht leichter bewusst werden lassen, ob beispielsweise ein Endspiel Herzog gegen Graf droht (= ungleichfarbige Läufer).
Wem das noch nicht weit genug geht und der zugleich offen genug ist aktuelle gesellschaftliche Trends bei der Namenswahl zu berücksichtigen, dem ist noch mehr gedankliche Freiheit gewiss. In der laufenden Genderdiskussion wird unter anderem über den Gebrauch männlicher und weiblicher Bezeichnungen im alltäglichen Sprachgebrauch debattiert. Noch sind die Mehrheit der Schachfiguren männlich – sowohl der Art als auch der Sprache nach. Einzig die schlagkräftige Dame bildet hierzu eine Ausnahme, wie vor einigen Jahrzehnten die Sanitäterinnen bei der Bundeswehr. Doch ist diese noch sehr einsam auf dem Spielfeld, in einer Armee voll männlicher Krieger. Für mehr weibliche Begleitung wären die elegant diagonal ziehenden Läufer doch geradezu prädestiniert. Damit arbeiten wir nicht nur an einer gesteigerten Wertschätzung und Aufwertung der weiblichen Schachspielerinnen, sondern gewinnen mit der Anbindung an einen gesellschaftlichen Trend auch an Dynamik für das Schachspiel selbst. Lassen Sie uns also von Fürstinnen, Herzoginnen oder Gräfinnen sprechen. Geschaffen haben wir dann nicht nur Fortschritte in unserem schachlichen Denkmodell, sondern zugleich eine Verweiblichung des Spiels. Um nicht gleich zu übertreiben und in das andere Extrem einer Dominanz der Weiblichkeit zu verfallen, teilen wir das Spiel fair zu 50:50 auf. Die weibliche Bezeichnung Gräfin für den schwarzfeldrigen Läufer und die männliche Bezeichnung Herzog für den weißfeldrigen Läufer. Ohne gleich den Herzog auf h7 im Zuge der Gleichberechtigung zu Opfern!