Averbach – Kortschnoi: Schwarz droht mit Durchmarsch nach h1, nur haperts noch an einem Detail… |
Von Hartmut Metz
Fanatische Schachspieler gibt es einige – der fanatischste unter ihnen dürfte Viktor Kortschnoi gewesen sein. Tigran Petrosjan hat angeblich einmal befunden: „Mit dem Ehrgeiz von Kortschnoi würde ich ewig Weltmeister bleiben!“, wie der Wahl-Schweizer anlässlich seines 80. Geburtstags stolz im Interview erzählte. Der beste Spieler, der mehrfach im WM-Finale stand, aber nie Weltmeister wurde, starb am vergangenen Montag mit 85 Jahren. Obwohl Kortschnoi nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt war und erheblich an Stärke einbüßte, ließ der gebürtige Leningrader nicht ab von seinem geliebten königlichen Spiel: „Es gibt kein Leben nach dem Schach“, begründete „Viktor der Schreckliche“ seine Passion. Auf dem Zenit aufzuhören, „weil man Weltmeister war, das klingt nach Bobby Fischer, nicht nach Viktor Kortschnoi“, betonte der Dissident, der 1976 aus der Sowjetunion flüchtete. Der dreifache Vizeweltmeister, der stets am 20 Jahre jüngeren Anatoli Karpow scheiterte, zeigte Unverständnis: „Bei mir hören nur die Schüler immer auf: die drei Großmeister Joël Lautier, Ronen Har-Zvi und Jeroen Piket. Das verstehe ich nicht“, sagte er und schüttelte den Kopf.
Er hatte zwar gegen „Kasparow und Karpow meine liebe Not, ich bezwang jedoch alle Weltmeister davor von Botwinnik, Petrosjan, Tal bis Spasski und verzeichnete positive Bilanzen. Ich wäre jedoch nie auf den Gedanken gekommen, deshalb mit Schach aufzuhören!“, stellte der Wohlener klar. Bei der Legende, die selbst noch 2011 mit 80 Jahren Schweizer Einzel-Meister wurde, stand alles hinter dem Denksport zurück. Nur einmal schien er müde: „Bis 1981 wollte ich Weltmeister werden. Die dritte Niederlage gegen Karpow war so schrecklich, die ganze Atmosphäre in Meran – das wollte ich nie mehr spüren!“, gestand Kortschnoi unerwartet.
Im hohen Alter gefiel sich „Viktor der Schreckliche“ in der neuen Rolle als Senior, der am Brett seine Enkel vermöbelt. „Die meinen, sie könnten Opa den Finger in den Mund stecken – aber Opa beißt noch!“, ulkte Kortschnoi mit 77, als er in der Schweizer Nationalmannschaft dem russischen Meister Peter Swidler trotzte. Auf Grund seiner sportlichen Langlebigkeit stuften ihn Nathan Divinsky und der englische Großmeister Raymond Keene in ihrem Buch über die Heroen des königlichen Spiels („Warriors of the mind“) auf Platz sieben der ewigen Bestenliste ein. „Das gefällt mir!“, sagte er und betonte, „ich bin auch ohne Weltmeister-Titel zufrieden.“
Nachstehend eine unbekanntere Partie von Viktor Kortschnoi – ausgerechnet den Endspiel-Guru Juri Awerbach schlug er 1965 in dessen Domäne durch eine brillante Kombination.
W: Awerbach S: Kortschnoi
1.d4 Sf6 2.Sf3 g6 3.g3 c5 4.Lg2 cxd4 5.Sxd4 d5 6.0–0 Lg7 7.c4 dxc4 8.Sa3 c3 9.bxc3 Sbd7 10.Sc4 0–0 11.La3 Tb8 12.Se3 Te8 13.Db3 Lf8 14.Tfd1 Da5 15.Lb4 De5 16.Da3 a6 17.Tab1 Dc7 18.c4 e6 19.Sb3 Lxb4 20.Dxb4 b6 21.Dd6 Dxd6 22.Txd6 Lb7 23.Tbd1 Lxg2 24.Kxg2 Tb7 25.Sg4 Sxg4 26.Txd7 Txd7 27.Txd7 Tc8 28.Td6 Txc4 29.h3 Sf6 30.Txb6 Ta4 31.Sc1 Sd5 32.Tb2 Kg7 33.Kf1 g5 34.Ke1 h5 35.Kd2 Die Stellung wirkt bisher völlig harmlos. h4! 36.Sd3? 36.gxh4 muss geschehen. Txh4 37.Tb3 und Schwarz steht nur etwas besser.
g4! 37.hxg4 h3 38.Kc2? Unterschätzt die Gefahr. 38.f3 bietet mehr Widerstand und macht das Feld f2 frei für den Springer: h2 39.Sf2 a5 Schwarz sollte dennoch das Endspiel gewinnen. 40.Ke1 Sc3 41.Tc2 Txa2! 42.Txc3 Ta1+ 43.Kd2 Tf1 44.Tc5 Txf2 45.Th5 a4 46.Kc3 (oder 46.Ke1 Tg2 47.Kd2 a3 48.Kc2 Txe2+ 49.Kb3 a2 50.Th4 Te1 51.Kxa2 h1D) Txe2 47.Kb4 Ta2 48.g5 Kg6 49.g4 e5 50.Kb5 a3 51.Kb4 Tf2 52.Kxa3 Txf3+ 53.Kb2 e4 54.Txh2 Kxg5 55.Tg2 e3 56.Kc3 Tf2 57.Tg3 Kf4 58.Tg1 e2 59.Kd2 Tf1.
Tc4+! Diesen teuflischen Zug hat Endspiel-Experte Juri Awerbach übersehen. Nach 39.Kd2 entscheidet der brillante Zug Tc1!! 40.Kxc1 h2 und der Turm kann auf der blockierten Grundlinie nicht mehr die Umwandlung des Bauern verhindern. 39…h2?! ist weniger eindeutig, reicht aber wohl auch: 40.Tb1 Ta4 41.Sc5 Txa2+ 42.Kd3 Sf6 43.f3 Ta5 44.Sb3 (44.Kc4 Sd5 45.Kd4 Ta2 46.Th1 Txe2 47.Sxa6 Td2+ 48.Ke4 Sc3+ 49.Ke3 Tg2 50.Sc5 Sd1+ 51.Kd4 – oder 51.Txd1 Tg1 beziehungsweise 51.Kd3 Sf2+ – Sf2) Ta3 45.Kc4 Ta2
Partie online:
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Juri Awerbach ist selbst bekannt für seine zahlreichen Studien. Das Motiv mit …Tc1!! ist hübsch und tatsächlich gibt es dazu auch schon nette Schachstudien.