Bericht von Hartmut Metz über seine Dopingprobe bei deutscher Meisterschaft

Nach einem Bericht des Sport-Informationsdiensts (sid) ist Forschern erstmals der Nachweis einer Doping-Wirkung bei Schachspielern gelungen. Psychiater aus Mainz haben demnach in dem Fachmagazin „European Neuropsychopharmacology“ eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass sich durch die Einnahme von pharmakologischen Substanzen die kognitiven Fähigkeiten der Spieler verbessern – es sei denn, sie stünden unter Zeitdruck. „Die Ergebnisse zeigen erstmals, dass auch hochkomplexe kognitive Fähigkeiten, wie sie beim Schachspiel nötig sind, durch Stimulanzien verbessert werden können. Offenbar sind die Probanden unter Stimulanzieneinfluss eher in der Lage, Entscheidungsprozesse vertieft zu reflektieren“, berichtete Studienleiter Andreas Franke.

Im Visier der Dopingjäger: Die Slawisch-Orgie von Hartmut Metz kann von den Fahndern höchstens als Aufputschmittel für seine fünf Gegner mit Weiß gewertet werden. Foto: Jan-Henrik Plackmeyer

Die Forscher verabreichten während der Studie 39 Turnierspielern an vier Tagen entweder zweimal 200 mg Modafinil (wirkt aufputschend, verhindert Müdigkeit), zweimal 20 mg Methylphenidat (euphorisierend, steigert die Aufmerksamkeit), zweimal 200 mg Koffein oder ein Placebo. Die Analyse von mehr als 3000 Testpartien gegen einen der Spielstärke angepassten Computer ergab, dass die Spieler länger über den besten Zug nachdachten und sich ihre Spielstärke steigerte, wenn sie die Substanzen nahmen. „Wir haben damit erste Hinweise, dass Doping im Schachsport durch die Stimulanzien Methylphenidat und Modafinil möglich ist“, urteilte Professor Klaus Lieb.
Doping-Kontrollen gibt es im Schach zwar seit rund 15 Jahren – positive Tests sind aber die Ausnahme, nimmt man „elektronisches Doping“ mit Smartphone oder PC aus. Dass Doping im Schach leistungssteigernd wirken könne, war bisher bestritten worden.
Der Kuppenheimer Hartmut Metz geriet im November bei der deutschen Einzel-Meisterschaft in Lübeck als erster deutscher Spieler des Jahres 2016 in die Dopingprobe. Für das „Schach-Magazin 64“ schrieb er darüber einen unterhaltsamen wie informativen Artikel. Der teilnehmende Arzt Dr. Ralf Schön bezweifelt darin sinnvolle Dopingmöglichkeiten wegen der Partienlänge. Hier die Ausführungen von Metz:

Dopingjäger „fehlen jetzt nur noch die Sportangler“

Einmal am Brett zu schnell: Marathon-Mann Metz gerät ins Netz der Fahnder – danach lahmen seine Springer und Läufer

Von Hartmut Metz

Fast eine Stunde lang schaue ich in die Französisch-Partie hinein, um einer dreifachen Stellungswiederholung mit Friedensschluss aus dem Weg zu gehen. Doch letztlich fällt mir wie meinem Gegner Heiko Kummerow nichts Besseres ein. In der vierten Runde quasi nur ein Sprint über zwei Stunden statt einer weiteren Marathon-Begegnung. In den drei Partien zuvor hatte ich jeweils wie ein Löwe um die sechs Stunden gekämpft und saß immer als Letzter bei der 87. Deutschen Meisterschaft in Lübeck am Schachbrett. Zerknirscht wollte ich zur kurzen Analyse der kläglichen Darbietung schreiten. Doch vor dem Spielsaal lauern die Kontrolleure der Nationalen Dopingagentur (NADA). Die blicken fröhlich drein, weil sie von Schiedsrichter Ralph Alt gewarnt worden waren, dass so eine Partie ob des Remisverbots normalerweise mindestens vier Stunden dauere. Nun hatten sie ihren ersten kleinen Fisch schon nach der Hälfte der Zeit am Haken. Weil der Oberhausener Kummerow geistesgegenwärtig reagiert („Mach du das mal!“), bitten die Dopingjäger den Verbandsliga-Spieler der Rochade Kuppenheim zur Urinabgabe – obwohl das nur 20-zügige seichte Geschiebe weder positiv bei den Zuschauern auffiel noch für mich ausfiel – schließlich war ich auch noch direkt bis zur Remisschaukel 17 Züge lang einem Duell von Alexej Schirow gefolgt.

Die zwei NADA-Vertreter freuen sich jedenfalls, den ersten der drei zufällig ausgewählten Delinquenten um 16.02 Uhr, wie das Protokoll vermerkt, unter Aufsicht stellen zu können. Fortan weicht mir ein Fahnder bis zum Abschluss der Urinabgabe nicht mehr von der Seite. Das Prozedere im separaten NADA-Raum im Hotel dauert bei Novizen meist eine Stunde. Während der Abfrage zahlreicher Daten und Erläuterungen kann ich wenigstens eine Liter-Flasche Mineralwasser leeren, um für kommende Aufgaben gerüstet zu sein. Während Helfer Hubert L. draußen vor dem Spielsaal patrouilliert, um zwei weitere Opfer zu erhaschen, klärt mich Chef-Fahnder Helmut S. freundlich über die „Kölner Liste“ auf, die ich im Internet jederzeit einsehen könne. Da ich bisher weder als Tischtennis-Vereinsmeister des TTC Muggensturm noch als zweitklassiger Klötzchenschieber ins Visier der NADA geriet, erkundige ich mich blauäugig, ob denn Aspirin auch unter die Dopingmittel fällt. Am Morgen der vierten Runde hatten mich Kopfschmerzen geplagt, aber weil ich keine Reiseapotheke mitgenommen hatte in die Hansestadt, verzichtete ich darauf, mir eine Tablette zu besorgen. „Aspirin ist harmlos“, meint Helmut S. und ergänzt, „Aspirin Complex könnte dagegen kritisch sein.“ Von dessen Existenz wusste ich bis dahin aber nicht einmal. Dafür fällt mir ein: Vor acht oder zehn Tagen hatte ich bei einem Kratzen im Hals eine Dorithricin-Tablette eingeworfen. Auch wenn der Dopingjäger nur die Mittelchen der letzten sieben Tage in sein Tablet eintippen soll, gebe ich das Dorithricin vorsichtshalber zu Protokoll. Nicht, dass ich plötzlich sonst künftig in einem Atemzug mit den gefallenen Rad-Helden Jan Ullrich und Lance Armstrong genannt werde …

Gefährlichkeit des Zahnputzens bekannt

Auf die Angabe meiner Zahnpasta verzichte ich, gleichwohl mir als ehemaligem Sportredakteur die Gefährlichkeit des Zahnputzens seit Leichtathlet Dieter Baumann geläufig ist. Zudem verschweige ich verschämt, dass ich ein „Ovo“-Junkie bin, wie der Schweizer sagt. Die morgendliche Ovomaltine führe ich mir jeden Morgen beim Frühstück in hohen Dosen oral zu – außer hier bei der deutschen Meisterschaft, wo Kaffee kein adäquater Ersatz ist für mein Aufputschmittel. Schließlich enthält dieser doch nicht wie der Malztrunk das Vitamin B12! Besonders wichtig, weil ich so viel erfolgreicher die Caro-Kann-Variante (Eröffnungs-Code B12!) mit Schwarz zu spielen vermag …

Doch nun ist die Schonzeit vorbei – wir schreiten auf das nicht ganz so stille Örtchen. Helmut S. behält mich im Auge. Ich muss die Ärmel meines Hemdes nach oben krempeln und die Hosen runterlassen. Die Betrüger scheinen früher ganz schön trickreich Fremdurin in Kanülen und sonst wo versteckt zu haben, um als Saubermann dazustehen.

Die Qual am Urinal

Mich plagen dagegen andere Probleme. Treibt einem sonst die Nervosität und die Anspannung jeden Tropfen aus der Blase und man eilt während Partien dauernd zur Toilette – wird’s plötzlich schwierig. Der feine Pinkel kann nicht so leicht, wenn jemand daneben steht. Jeder kennt das unangenehme Gefühl von den Urinalen. Angeblich verzögert sich der Strahl um bis zu 20 Sekunden, wenn sich ein Nebenmann postiert. Diesmal stiert sogar einer. Dumme Witze sorgen auch nicht für die gewünschte Ablenkung. Endlich fließt’s, aber nur zähflüssig – und höchstens die Hälfte der erforderlichen 90 Milliliter Harn, die die Dopingkontrolleure einfordern. Ablenken, ablenken, ablenken – endlich ergießt sich die zweite Hälfte ebenfalls in das Plastikbecherchen. 100 Milliliter!

Fast hätte ich aber doch ein zweites Mal ran müssen: Die Wasserdichte muss den Wert von 1005 erreichen. Reines Wasser hat laut einem der Kontrolleure den Wert 1000. Das entsprechende Testgerät taxiert die sehr helle Dopingprobe mit viel Wohlwollen auf exakt diese kritische Zahl. Dass sich die Prozedur, wenn es dumm läuft (oder genauer: gar nicht läuft), über vier Stunden ziehen kann, wie der Dopingjäger erzählt, glaube ich nun aufs Wort.

Nach mir geraten noch der Schwarzenbacher Alexander Gress und Dr. Ralf Schön ins Visier der Fahnder. Die drei Tests pro Jahr bei den deutschen Schach-Meisterschaften der Herren, Damen und der U18 hält Schön „für idiotisch. Im Schach bringt Doping gar nichts. Das ist nur Geldverschwendung und geht sicher um Fördergelder“, ahnt der Allgemeinmediziner vom Oberligisten SV Mendig-Mayen. Schön nennt ein Beispiel aus seiner Praxis: „Amphetamine sind etwa kontraproduktiv. Die halten zwei Stunden lang sehr wach – danach bricht man jedoch in der dritten Stunde eklatant ein. Bei der Aufmerksamkeit ist es im Schach wie bei einer sehr langen Autofahrt: Man muss konstant wach sein. Bei uns hilft nur elektronisches Doping“, verweist Schön auf Betrug mit Schach-Programmen. Den ersten berühmten Fall hatte es Ende 1998 gegeben, als der Betrüger Clemens Allwermann in Böblingen aufgetrumpft hatte. Dank einer komplizierten Übertragung der Züge an seinen Gehilfen im Hotelzimmer konnte dieser die Partie in den Rechner eingeben und die Antworten des Programms „Fritz“ zurück übermitteln. Opfer war damals Großmeister Sergej Kalinitschew, dem Allwermann ein „Matt in acht Zügen“ ankündigte. Der Berliner lächelte daraufhin milde, woraufhin der Betrüger größenwahnsinnig raunzte: „Lachen Sie nicht, prüfen Sie es!“ Ich tat es damals und enttarnte Allwermann samt seinen Einkäufen des Equipments. Kalinitschew schlug mich hier in Lübeck nicht nur in der zweiten Runde, sondern sollte fünf Tage später mit 60 Jahren der älteste deutsche Meister der Schach-Historie seit 1879 werden. Irgendwie schloss sich der Kreis, was ich im Moment des Pinkelns noch nicht ahnte.

Die zwei Kontrolleure sind ohnehin gut informiert und wissen, dass Spritzen die Läufer kaum schneller machen und die „Pferde“ durch kein Mittel der Welt erfolgreicher gabeln – allein mit Programmen auf Smartphones ist heutzutage leichter auf dem stillen Örtchen zu bescheißen als zu Zeiten Allwermanns.

Tête-à-tête mit den Stars auf dem WC

Während ich den Urin aus dem Plastikbecher in zwei Glasflaschen verteile – in die A-Probe mindestens 60 Milliliter, in die B-Probe mindestens 30 Milliliter, weshalb ich jetzt nichts verschütten darf! – erzählt Helmut S., er habe zahllose Welt- und Europameister sowie Weltrekordler getestet. Namen darf er allerdings keine verraten, obwohl mich brennend interessiert, ob meine Tischtennis-Heroen Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov auch darunter waren. Man möchte ja eins sein mit seinen Stars – und wenn’s nur derselbe Dopingfahnder ist … Ihm mache es Spaß, berühmte Sportler zu treffen, sagt er. Das tête-à-tête auf dem WC sicher ausgenommen, denke ich. Einmal wollte ihn auch eine ungenierte Sportlerin gleich mit aufs Klo nehmen, „doch da gehen nur weibliche Kontrolleurinnen mit“, betont der Norddeutsche. Vom Aufreißen der Verpackungen bis zum Versiegeln der Dopingproben soll der Fahnder nichts anfassen – sonst könnte behauptet werden, die Mittelchen und Verunreinigungen stammten von ihm.

Zum Abschluss freut er sich, auch mal einen schnöden Schachspieler in seine Sammlung aufgenommen zu haben. Der Kontrolleur kommentiert den Fall mit der Registrierungsnummer 6102, den er um 16.38 Uhr abschließt, in Lübeck trocken: „Jetzt fehlen mir nur noch die Sportangler!“ In sieben bis zehn Tagen erfährt der Sportler nun am besten – nichts! „Wenn Sie ein Schreiben bekommen, haben Sie ein Problem“, erläutert einer der Herren. Zudem müsste sich der Deutsche Schachbund überlegen, wie er die Ergebnisse des Gedopten nach Öffnung der B-Probe bewertet.

Mit dem Wissen um meine Slawisch-Schwäche – 1/5 sprechen eine eindeutige Sprache – wäre für mich ein positiver Test ein Sieg, weil wahres Doping für meine Elo-Zahl! Nach dem Test verliere ich nämlich in Lübeck die nächsten drei Partien, was mir erst einmal in 36 Jahren passiert war. Würden meine schauderhaften Ergebnisse mit 3,5/9 und Platz 21 indes nachträglich annulliert, brächte mir das meine eingestellten 33 Elo zurück! Kaum auszudenken, welch positive Stimulanz überdies eine zusätzliche zweijährige Sperre besäße. In der Zeit könnte ich schon keine weiteren 664 Elo (hochgerechnet von meinem 83-Elo-Minus im letzten Vierteljahr) unters Schachvolk spritzen. Liebe NADA: Bitte zieh‘ mich aus dem Verkehr!

Und hätte ich in Lübeck nicht erfahren, dass die Dopingjäger auch dort im Trüben fischen, worauf ich mich am Brett einst gut verstand, würde ich jetzt glatt mit dem Sportangeln anfangen …