Carlsen – Naiditsch: Schwarz “glaubt” an seinen Sieg – und weiß auch wie! |
Von Hartmut Metz
In der aktuellen Meko berichtet Hartmut Metz über den Sieg von Arkadij Naiditsch über Magnus Carlsen. Es ist erst der zweite Erfolg eines Deutschen bei einer Olympiade über den amtierenden Weltmeister! Zuerst gelang dem ostdeutschen Vorkämpfer Wolfgang Uhlmann das Kunststück 1962 gegen den sowjetischen Champion Michail Botwinnik. In der nächsten Ausgabe des “Schach-Magazins 64”, die in wenigen Tagen herauskommt, erscheint ein Interview von Metz mit Naiditsch, der die Olympiade aus deutscher Sicht Revue passieren lässt – und natürlich seinen bisher größten Einzelsieg.
Siege über Weltmeister sind rar. Noch größeren Seltenheitswert besitzen Siege über Weltmeister bei Schach-Olympiaden, der alle zwei Jahre stattfindenden Mannschafts-WM des Denksports. Erst einem Deutschen war das gelungen: Die DDR-Legende Wolfgang Uhlmann bezwang 1962 in Warna den sowjetischen Weltmeister Michail Botwinnik. Das Kunststück wiederholte nun Arkadij Naiditsch in Tromsø. Der Baden-Badener schlug Magnus Carlsen und sicherte so dem deutschen Quartett den Sieg über Gastgeber Norwegen.
„Ich habe großen Respekt vor Carlsen – aber keine Angst!“, wollte Naiditsch einfach seine beste Leistung abrufen, auch wenn der Weltranglisten-38. sein „Leistungsvermögen objektiv betrachtet“ deutlich hinter der Nummer eins einordnet. Mit ein Grund: „Mir fehlt es leider an Konstanz. Mir passieren manchmal Einsteller – da willst du am liebsten aufhören …“, gesteht der deutsche Spitzenspieler. Ohne die Aussetzer würde sich der 28-Jährige durchaus die Top Ten zutrauen. Naiditsch und Georg Meier an Position zwei spielten eine gute Olympiade. Doch weil Daniel Fridman, Debütant Liviu-Dieter Nisipeanu und David Baramidze weniger überzeugten, landete die deutsche Auswahl mit 14:8 Punkten nur auf Platz 30 unter 150 Teams.
In der siebten Runde kassierte Carlsen beim 1,5:2,5 der Norweger gegen Deutschland seine erste Niederlage. Auch gegen den Serben Ivan Saric zog der Weltmeister den Kürzeren. Mit 6:3 Punkten schnitt Carlsen letztlich ähnlich ab wie Naiditsch, der 5,5:3,5 Zähler holte.
W: Carlsen S: Naiditsch
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.Sf3 c5 5.g3 0–0 6.Lg2 cxd4 7.Sxd4 d5 8.cxd5 Sxd5 9.Db3 Sc6 10.Sxc6 bxc6 11.0–0 Da5 12.Se4!? Eine eher seltene Fortsetzung. Gängiger ist 12.Ld2 Lxc3 13.bxc3 La6 14.Tfd1 Dc5 15.e4 Lc4 16.Da4 Sb6 17.Db4 Dh5 mit leichtem weißen Übergewicht. La6 13.Dc2 h6?! Le7!? hält Naiditsch für stärker. 14.a3 c5 und Schwarz unterbindet den weißen Raumgewinn nach b4, der den rückständigen c-Bauern festlegt. 14.a3! Le7 15.b4! Der erste neue Zug in der Variante. Db5 Das zunächst verlockend erscheinende Lxb4 16.axb4! (Das ist weit stärker als 16.Lxh6 Lc3 17.Tac1 gxh6 18.Sxc3 Sxc3 19.Dxc3 Dxc3 20.Txc3 Lxe2 mit Ausgleich.) Dxa1 17.Lb2 Da2 entpuppt sich nach dem schwer vorherzusehenden 18.Sd2!! als nachteilig für Schwarz: Sxb4 19.Dc3 e5 Der einzige Zug. 20.Ta1 De6 21.Dxb4 Lxe2 22.Te1 Tab8 23.Dc3 Lg4 24.Txe5 Mit zwei Figuren für Turm und zwei Bauern steht Carlsen in dieser Stellung deutlich besser. 16.Te1 Dc4 17.Db2 c5 18.Sxc5 Lf6 Naiditsch war sich nicht sicher, ob die Preisgabe des Läuferpaars nach Lxc5!? 19.bxc5 Dxc5 schlimme Folgen hat. Carlsen stünde danach zumindest leicht besser. 19.Da2 Tac8?! „Keine sonderlich gute, ja eine dumme Entscheidung“, tadelte sich Naiditsch später für den Zug. Sc3! hält als einzige Fortsetzung die Partie offen: 20.Dxc4 Lxc4 21.Lb2!? (Oder laut Naiditsch 21.Lxa8 Txa8 22.Lb2 Sxe2+ 23.Txe2 Lxe2 24.Lxf6 gxf6 25.f4 Td8 mit Ausgleich.) Sxe2+ 22.Txe2 Lxe2 23.Lxf6 gxf6 24.Te1 Lc4 25.Lxa8 Txa8= gönnt Weiß nur ein minimales Plus im Endspiel durch die Damenflügelbauern. Ganz schlecht ist Lxa1 20.Dxa1 Tac8 21.Lb2 f6 22.e4 Txc5 (Sb6 23.Lf1 und Schwarz verliert den Läufer auf a6.) 23.Tc1 Db3 24.bxc5 Se7 25.c6 Tc8 26.c7+– und der Nachziehende hat enorme Probleme. Ein Beispiel: Db6 27.Ld4 Db5 28.Dc3. 20.e4! Sc3 21.Dxc4 Lxc4 22.e5 Le7± 23.Ld2?! Naiditisch hält 23.Le3 für merklich unangenehmer. Auf den Computer-Zug a5! muss man danach erst einmal kommen. (Tfd8± mit Minusbauer) 24.Sd7 axb4 25.Sxf8 b3 26.Sd7 b2 27.Tab1 Sxb1 28.Txb1 Lxa3 29.Sb6 Tc7 30.Sa4 La2 31.Txb2 Lxb2 32.Sxb2± Schwarz wahrt gewisse Remischancen. Se2+ 24.Kh1 Sd4 25.Tac1 Ld5 26.Lxd5 exd5 27.Sd7 Txc1 28.Txc1 Td8 29.Sc5?! In Zeitnot verliert Carlsen langsam den Faden. 29.Tc7! verspricht mehr: Sb5 30.Tb7 Sxa3 31.Txa7 d4± (Sc4? verliert umgehend: 32.b5! Sxd2 33.b6 Sc4 34.b7 und Schwarz kann den Bauern nicht mehr vernünftig aufhalten, weil auch noch Ta8 droht.) Lxc5 30.Txc5 Sf3! 31.Lc3?! 31.Lf4! g5 32.Kg2! Se1+ 33.Kf1 Sd3 34.Tc3 unterbindet den Plan, den Naiditsch nun umsetzen kann.
g5!! Das entging nach Ansicht des Deutschen seinem Gegner. Nun befestigt er unangenehm den Springer auf f3. 32.h3 h5 33.Kg2 g4 34.b5 Td7 35.Tc8+ Kh7 36.La5 d4 Das gleichwertige Sxe5 kommt ebenso in Betracht. 37.hxg4 hxg4 38.e6? Ein schwerer Fehler in Zeitnot, der Naiditsch völlig überraschte. Er fürchtete stattdessen 38.Tc7 Txc7 39.Lxc7 d3 40.Kf1 Sd4 41.Ke1 Sxb5 42.Ld6 „mit Verluststellung“. Indes reicht Kg6 43.Kd2 Kf5 44.Kxd3 Ke6 45.Lc5 Kd5! zur Punkteteilung. fxe6 39.Tc7 Txc7 40.Lxc7 d3 41.Kf1 Sd4! Die Zeitnot-Hektik ist gewichen. Nach den weißen Irrungen darf nur noch Schwarz auf mehr hoffen. 42.Ke1 42.La5 verliert schnell: Sxb5 43.a4 Sd6 44.Ke1 Sc4 und Carlsen kommt nicht an den Nagel im Sarg auf d3 heran. Sxb5 43.Lb8 Sxa3 44.Kd2 44.Lxa7? Sc4 kann Carlsen gleich aufgeben, weil wieder der Bauer auf d3 der entscheidende Trumpf wird. a5 45.Kxd3 Kg6 46.Ke4?! Auf 46.Kc3 Kf5 47.Kb3 Sb5 48.Kc4 plante Naiditsch hübsch a4! 49.Kxb5 a3 50.La7 e5! mit Umwandlung des Bauern. 46.Ld6! Sb5 47.Lf4 Kf5 48.Kc4 Sa7 49.Lc7 Sc6 50.Kc5 Se5 51.Lxa5 Sd3+ 52.Kd4 Sxf2 53.Lc7 Se4 54.Lb8 bietet am ehesten Remischancen. a4 47.Le5 Sc4 48.Lc3 a3 49.Kf4? Das verliert wertvolle Zeit. Laut dem Hamburger Endspiel-Guru Karsten Müller rettet noch allein 49.f3! Sd6+ (gxf3 50.Kxf3 Kf5 51.Ke2 e5 52.g4+ Kxg4 – oder Ke6 53.g5 e4 54.g6= – 53.Kd3 Kf3 54.Kxc4 e4 55.Kb3) 50.Kf4 gxf3 51.Kxf3 Kg5 52.Ke2! Sb5 53.La1 Sa7 54.Kd3 Sc6 55.Lh8 e5 56.Kc3 e4 57.Kb3 e3 58.Kxa3 e2 59.Lc3 und der letzte Bauer wird rechtzeitig ausgebremst. Kh5 50.f3 Das kommt einen Zug zu spät! 50.Ke4 Kg5 bringt auch nichts mehr.
e5+! Inzwischen glaubte Naiditsch an seinen Sieg. 51.Ke4 Sd6+! a2? verdirbt noch die Partie ins Remis. 52.fxg4+ Kxg4 53.Kd5. 52.Ke3 52.Kxe5 gxf3 53.Ld4 Sb5 und einer der Bauern läuft zur Dame. Kg5 53.fxg4 53.f4+ exf4+ 54.gxf4+ Kf5 55.Lg7 Sc4+ 56.Kd4 g3. e4 54.Kd2 Sb5 55.Le5 Kxg4 56.Ke3 Kf5 57.La1 Sd6! 58.Kd2 Kg4 59.Ke3 a2 60.Lc3 Kxg3 61.La1 Kg4 62.Kd2 Kf3 0:1. Eine der zahlreichen Gewinnwege lautet: 63.Ke1 Sc4 64.Lg7 e3 65.La1 e2 66.Ld4 Sa3 67.Kd2 e1D+ 68.Kxe1 Sc2+ 69.Kd2 Sxd4.