Radjabow – Carlsen: Schwarz behält nach 80 Zügen die Übersicht – und nutzt den Fehler Sc4 “eiskalt”

Norweger sieht sich als „verdienter Sieger“ des Kandidatenturniers
Von Hartmut Metz
Magnus Carlsen streckt die Hand nach dem WM-Titel aus. In dem dramatischen Kandidaten- turnier in London qualifizierte sich der 22-Jährige für das Match mit Weltmeister Viswanathan Anand. Der Weltranglistenerste wollte keine Prognose für November abgeben, hob jedoch einen Unterschied zum im Ranking nur noch auf Platz sechs geführten Inder hervor: „Anand verfolgt eine andere Philo- sophie. Ich gewinne Turniere und er konzentriert sich darauf, seinen WM-Titel zu verteidigen“, meint der Herausforderer und schiebt nach, „ich bin sicher, dass er stark spielen wird – aber wenn ich Druck auf ihn ausübe, kann ich ihn schlagen!“ Seinen Turniersieg bei dem mit 510000 Euro dotierten Wettbewerb hielt Carlsen für „verdient. Bevor ich mich am Schluss selbst enttäuschte und lächerlich spielte, war ich hier bis zur elften Runde am besten“, strotzte der Osloer Vorstädter nach seiner Schlussrunden-Niederlage gegen Peter Swidler wieder vor Selbstvertrauen. Die Schlappe erklärte sich der 22-Jährige wie sein Bezwinger und auch Kramnik mit der unklaren Ausgangslage: Die beiden Führenden hatten sich gegenseitig im Auge und wussten nicht, ob ein Remis reicht oder doch ein Sieg für den ersten Platz her muss. Entsprechend riskierte Kramnik gegen Wassili Iwantschuk auch zu viel und kassierte ausgerechnet in der 14. Runde seine erste Niederlage – mit ebenfalls 8,5:5,5 Punkten blieb dem Ex-Weltmeister aus Russland so nur der zweite Rang.
„Bewertet man die Eröffnungsvorbereitung, wäre Kramnik der verdiente Sieger – aber die ist nicht alles“, verwies der zähe Carlsen darauf, dass er viele Kontrahenten eben erst nach langen Duellen niederringt. Das bewies der WM-Herausforderer vor allem in der 13. Runde. Mit einer wahren Willensleistung schlug er Teimour Radjabow. In einer scheinbar hoffnungslosen Remisstellung, in der sich Kramnik vermutlich schon dreimal auf einen Friedensschluss geeinigt hätte, rang der Norweger den Aseri noch nieder. So schloss der Weltranglistenerste wieder zu Kramnik auf und qualifizierte sich für die WM.

Fide-Kandidatenturnier – London 2013 – Closing Ceremony
(Photo courtesy FIDE and Anastasiya Karlovich)
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W: Radjabow S: Carlsen
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.Dc2 d6 5.Sf3 Sbd7 6.g3 0–0 7.Lg2 e5 8.0–0 c6 9.Td1 Te8 10.dxe5 dxe5 11.a3 Lxc3 12.Dxc3 De7 13.b4 Sb6 14.Le3 Sg4 15.Sd2 f5 16.h3 Sxe3 17.Dxe3 e4 18.Tac1 Le6 19.Dc3 Tad8 20.Lf1 c5 21.bxc5 Sa4 22.Db4 Sxc5 23.Sb3 Txd1 24.Txd1 Sa6 25.Dxe7 Txe7 26.e3 Kf7 27.Le2 b6 28.Td8 Sc5 29.Sd4 Kf6 30.Kf1 Td7 31.Tf8+ Lf7 32.Ke1 g6 33.h4 h6 34.Tc8 Le6 35.Tf8+ Tf7 36.Th8 Tc7 37.Sb5 Td7 38.Sd4 h5 39.Tf8+ Lf7 40.Tc8 Ke5 41.Ta8 a6 42.Tc8 Td6 43.Sc6+ Kf6 44.Sd4 Le6 45.Tf8+ Ke7 46.Ta8 Td7 47.Tb8 Tb7 48.Txb7+ Sxb7 49.Kd2 Kd6 50.Kc3 Lf7 51.Sb3 Ke5 52.Lf1 a5 53.Le2 Le6 54.Lf1 Ld7 55.Le2 La4 56.Sd4 Sc5 57.Kb2 Le8 58.Kc3 Lf7 59.Sc6+ Kd6 60.Sd4 Sd7 61.Sb5+ Kc5 62.Sd4 Se5 63.Sb3+ Kc6 64.a4? Noch kein schlimmer Fehler, aber ein erstes Zeichen von Schwäche. Ohne Not platziert Radjabow seinen Bauern auf ein gefährdeteres Feld, auf das auch der feindliche Läufer Zugriff hat. Kd7 65.Sd4 Kd6 66.Sb5+ Kc5 67.Sd4 Le8 68.Sb3+ Kd6 69.c5+! Kc7! bxc5 70.Sxa5 Lxa4 erobert zwar einen Bauern – aber nach 71.Sc4+ Sxc4 72.Lxc4 Le8 besteht keinerlei Hoffnung mehr für Schwarz, die Partie zu gewinnen. Der König kann nirgends eindringen, und der Läufer hat keine Angriffsziele, weil alle weißen Bauern auf schwarzen Feldern stehen. 70.Kd4 Sc6+ 71.Kc3 Se7 72.cxb6+ Kxb6 73.Sd2 Lxa4 74.Sc4+ Ka6 Schwarz muss auf das Feld ziehen, um den a-Bauern zu bewahren. Natürlich sah Carlsen, dass der Gegner kein gefährliches Abzugsschach hat. 75.Sa3+ Kb7 76.Sc4 Ka6 77.Sa3+ Ka7 78.Kd4 Sc6+ 79.Kc5 Se5!

80.Sc4? Damit verliert Radjabow die Nerven. 80.Kd4 hält Schwarz davon ab, gefährlich einzudringen. Sd3+! Sxc4? 81.Lxc4 Le8 ergibt trotz des Mehrbauern wieder die Remissituation. 81.Kd4 81.Lxd3 exd3 82.Kd4 (82.Sxa5 d2) Lb5 83.Kxd3 (83.Sd2 Kb6 84.Kc3 La6 85.Kb3 Kc5 86.Kc3 a4 87.f3 Lb5 88.e4 fxe4 89.fxe4 a3 90.Kb3 Kd4 91.Kxa3 Kc3 92.Sf1 Lc6 93.e5 Ld7 94.Ka2 d2 95.Sxd2 Kxd2 und Schwarz gewinnt) Kb7 84.Kc3 Lxc4 85.Kxc4 Kc6 86.Kb3 verliert umgehend: 86…Kd5 87.Ka4 Ke4 88.Kxa5 Kf3 89.Kb5 Kxf2. Sc1!? Das bringt Weiß vollends aus dem Konzept. Sxf2 sieht auch vielversprechend aus: 82.Sxa5 Sh1 83.Lc4 Le8 84.Ke5 Kb6 85.Sb3 Sxg3 86.Kf6 f4! 87.exf4 e3 88.Sc1 Kc5 89.Ld3 Kd4 90.Lxg6 Lxg6 91.Kxg6 Kc3 92.f5 Kc2 93.f6 Kxc1 94.f7 e2 95.f8D e1D 96.Df4+ Kd1 97.Dd4+ Ke2 98.De5+ Kf2 99.Df4+ Kg2–+ und Weiß gehen die Schachs aus, weshalb der h4–Bauer alsbald fällt. 82.Lf1 Lb5! Eine unangenehme Fesselung, die entscheidet. 83.Sxa5 Bricht alle Zelte hinter sich ab und hofft darauf, dass es Weiß noch irgendwie gelingt, alle Bauern am Königsflügel abzuräumen. 83.Kc3 Ka6 84.Kc2 Sd3 85.Lxd3 exd3+ 86.Kxd3 Kb7 87.Kc3 Lxc4 88.Kxc4 Kc6 führt erneut zu dem bereits bekannten verlorenen Bauernendspiel. Lxf1 84.Sc6+ Kb6 85.Se7 Sd3 86.Sxg6 Kc7 87.Se7 Lh3 88.Sd5+ Kd6 89.Sf6 Lg4 Radjabow gab auf wegen 90.Sxg4 fxg4 91.Kxe4 Sxf2+ 92.Kf5 Sh1 93.Kg5 Sxg3 94.Kf4 Se2+ 95.Ke4 Ke6 96.Kd3 Sg3 97.Kd4 Sf5+ 98.Ke4 Sxh4. 0:1.

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