Problemkomposition im „St. Louis Globe Democrat“ 1887: Mord in acht Zügen

Krimiautor Tim Krabbé begeistert mit Thrillern wie Schachbüchern
Von Hartmut Metz
Das goldene Ei“ hat sich für Tim Krabbé zumindest bei den Preisen als solches entpuppt: Für das Buch erhielt der Holländer 1993 den internationalen schwedischen Krimipreis. Seine Thriller wurden in 16 Sprachen übersetzt und fünf davon laut Wikipedia verfilmt. Den Schach- spielern ist der Amsterdamer aber noch mehr als seine Morde im Bett durch die Schlachten auf dem Brett ein Begriff: Zum einen schrieb er 1972 eine Biografie über den neuen Weltmeister Bobby Fischer, zum anderen verfasste Krabbé die grandiosen Bändchen „Schach-Besonder- heiten“ (Teil 1 und 2). Der in den 70er Jahren zur erweiterten niederländischen Schach-Spitze zählende Autor präsentiert darin zahllose Kuriositäten auf dem Brett. Vergangenen Samstag feierte er ebenso wie Legende Garri Kasparow runden Geburtstag. Während der Ex-Weltmeister „erst“ 50 wurde (wir berichteten), beging Krabbé sein 70. Wiegenfest. Besonders widmete sich der Jubilar im ersten Band von „Schach-Besonderheiten“, der 1987 im Econ-Verlag erschien, der Rochade. Anhand zahlreicher Beispiele zeigte der Holländer, dass selbst berühmte Großmeister bei ihrer Ausführung nicht sattelfest waren. So erkundigte sich Viktor Kortschnoi sogar beim WM-Kandidatenfinale 1974 gegen Anatoli Karpow, ob er rochieren dürfe, wenn sein Turm auf dem Feld h1 angegriffen ist. Er durfte ebenso wie ein Gegner von Endspiel-Legende Juri Awerbach, der empört reklamierte! Grund: Nur der König darf nicht über ein bedrohtes Feld bei seinem einzigen Doppelschritt in der Partie ziehen!
Krabbés Interesse für die Rochade rührt vielleicht auch daher, dass der Krimi-Experte Co-Namensgeber der „Pam-Krabbé-Rochade“ ist. Nach einem April-Scherz des Franzosen Jean-Luc Seret kreierte Krabbé zusammen mit seinem Landsmann Max Pam eine Schachkomposition, bei der alle Rochade-Vorgaben eingehalten wurden: 1. der König hatte sich ebenso wie 2. der beteiligte Turm noch nicht bewegt, 3. zwischen dem König und dem beteiligten Turm keine andere Figur steht, 4. der König über kein Feld ziehen muss, das durch eine feindliche Figur bedroht wird und 5. der König vor und nach dem Zug nicht im Schach steht. Das alles konnte jedoch auch eingehalten werden, wenn Weiß auf e8 einen Bauern in einen Turm umwandelt. Daraufhin ergänzte der Schach-Weltverband FIDE die Regeln dahingehend, dass König und Turm auf derselben Reihe stehen müssen.
Sehr hübsch greift das folgende Problem von W. Shinkman die Thematik auf. Im „St. Louis Globe Democrat“ präsentiert der Autor anno 1887 ein hübsches Matt in acht Zügen.

1.0–0–0 Kxa7 2.Td8 Kxa6 3.Td7 Kxa5 4.Td6 Kxa4 5.Td5 Kxa3 6.Td4 Kxa2 7.Td3 Ka1 8.Ta3 matt.
„Das Problem hat vollkommen seinen Status als nie erreichter Favorit verdient, doch es weist eine dunkle Stelle auf“, bemerkt Krabbé und verweist auf eine angeblich 1929 entdeckte Nebenlösung mit Kd2. Aber wie Krabbé zurecht schreibt, behält allein die lange Rochade als erster Zug den „Charme des Problems“.
Die unsterbliche Partie von Alexander Petrow gegen Alexander Hoffmann (1844 in Warschau gespielt) beinhaltet ebenso die Rochade als Schlüsselzug. Petrows Name ist bis heute dem königlichen Spiel erhalten geblieben und aktuell: Heißt seine Eröffnung im deutschsprachigen Raum „Russische Verteidigung“, trägt die Zugfolge 1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 auf Englisch immer noch seinen Nachnamen als solide schwarze Variante.

W: Hoffmann S: Petrow
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.c3 Sf6 5.d4 exd4 6.e5 Se4?! 7.Ld5! Sxf2 8.Kxf2 dxc3+ 9.Kg3 cxb2 10.Lxb2 Se7 11.Sg5? Weiß scheint eine Figur mehr zu behalten. Sxd5 12.Sxf7

0–0!! Schwarz darf rochieren! Zwar ist sein Turm angegriffen, aber der König rochiert nicht über ein Schachfeld. Kxf7 13.Dxd5+ Ke8 14.Dxc5 verteidigt die Mehrfigur, gleichwohl Dg5+ 15.Kf2 Tf8+ 16.Kg1 b6 17.Dd4 Lb7 Schwarz Kompensation gibt. 13.Sxd8 13.Dxd5? Txf7 14.Dxc5 Dg5+ 15.Kh3 d5+ 16.e6 Lxe6+ 17.g4 Dxg4 matt. Lf2+ Setzt zwangsläufig matt. 14.Kh3 d6+ 15.e6 Sf4+ 16.Kg4 Sxe6 17.g3 17.Sf7 Txf7 zögert das Matt nur hinaus. Sd4+? Sxd8+! spuckt der Rechner als schnelles Matt aus: 18.Kh5 Tf5+ 19.Kg4 Tf6+ 20.Kh4 Tf4+ 21.Kg5 Se6+ 22.Kh5 g6+ 23.Kh6 Th4+! 24.gxh4 Le3 matt. 18.Se6? 18.Kh4 Sf3+ 19.Dxf3 überlebt der weiße König vorerst, aber angesichts eklatanter Materialnachteile ist die Entscheidung auch gefallen. Lxe6+ 19.Kh4 Die anderen Königszüge ergeben einen Zug später ein Matt. Sf5+ 20.Kh3 Se3+ 21.Kh4 Sg2+ 22.Kh5 g6+ 23.Kg5 Le3 matt.

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