Karjakin – Caruana: Weiß demonstriert die Vorzüge seiner Schwerfiguren auf ihrer Wirkungslinie |
Von Hartmut Metz
„Mir fehlen die Worte, um meine Gefühle auszu- drücken“, gab Sergej Karjakin nach seinem größten Erfolg zu Protokoll. Der Weltcup-Sieger aus Russland gewann in Moskau überraschend das WM-Kandi- datenturnier und trifft im November in New York auf Weltmeister Magnus Carlsen. Damit kommt es zum Duell der beiden Wunderkinder des Jahrgangs 1990: Der Norweger wurde im Alter von 13 Jahren und vier Monaten Großmeister – Karjakin drückte die Best- marke auf bisher unerreichte zwölf Jahre und sieben Monate. Die Entwicklung ging hernach etwas auseinander. Carlsen steht seit 2011 unangefochten auf Platz eins der Weltrangliste und gilt im Herbst auch als klarer Favorit. Dass Karjakin kaum Chancen gegen den Titelverteidiger habe, wie in Diskussionen im Web geunkt wurde, sieht Jonathan Speelman anders: „Er hat in Moskau ein fantastisches Turnier gespielt, und allein die Qualifikation in diesem Turnier wird ihn besser und stärker gemacht haben“, glaubt der Großmeister, der selbst schon im Kandidaten-Zirkus mitspielte. Der Brite verweist dabei auch auf die Bilanz der beiden in klassischen Turnierpartien, die mit 6:5 Siegen (bei 17 Remis) für Carlsen nahezu ausgeglichen ist.
In der Weltrangliste kletterte Karjakin von Platz 13 auf acht – liegt damit aber immer noch 72 Elo-Punkte hinter seinem Rivalen. Die Statistik signalisiert damit eine Gewinnerwartung von 59:41 Prozent.
Das Duell gegen den Weltmeister scheint aber für Karjakin derzeit noch weit weg. „Ich schaue nach vorne, aber erst will ich den Sieg feiern“, verkündete er nach dem Triumph in Moskau. Allzu ausschweifend dürfte die Party kaum ausgefallen sein. Auf die Frage, was er nun mit dem Preisgeld des Kandidatenturniers von rund 100 000 Euro anstelle, antwortete der Jungvater: „Ich gebe es meiner Frau, sie weiß schon, was damit zu tun ist.“
In der 14. und letzten Runde ging es zwischen den beiden Führenden um alles: Obwohl ihm letztlich ein Remis gereicht hätte, opferte Karjakin einen Turm und schlug damit Fabiano Caruana. Mit 8,5 Punkten lag der 26-Jährige somit einen vollen Zähler vor dem US-Amerikaner und dem indischen Ex-Weltmeister Viswanathan Anand. Mit ausgeglichener 7:7-Bilanz folgten Remis-König Anish Giri (Niederlande), der alle 14 Partien friedlich abschloss, Peter Swidler (Russland), Lewon Aronjan (Armenien) und Hikaru Nakamura (USA). Als Prügelknabe fungierte der Bulgare Wesselin Topalow (4,5).
W: Karjakin S: Caruana
1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 d6 Sizilianisch spielt Caruana zwar häufiger, aber die klassische Variante wandte der US-Amerikaner zuletzt nicht an. 6.Lg5 e6 7.Dd2 a6 8.0-0-0 Ld7 9.f4 h6 10.Lh4 b5 Damit weicht Schwarz von den beiden Hauptvarianten mit g5 oder Sxe4 ab. 11.Lxf6 gxf6 Möglich ist ebenso Dxf6, das laut dem irischen Großmeister Alexander Baburin jedoch als riskanter gilt: 12.e5 dxe5 13.Sdxb5 Dd8 14.Sd6+ Lxd6 15.Dxd6 exf4 16.Se4 De7 17.Dd2. 12.f5 Db6 13.fxe6 fxe6 14.Sxc6 Dxc6 15.Ld3 h5 16.Kb1 b4 17.Se2 Dc5 18.Thf1 Programme wie „Komodo“ oder „Stockfish“ plädieren für das Bauernopfer e5!? mit der Folge fxe5 19.Dg5 Le7 20.Dg7 Tf8 21.Thf1 und weißen Angriffschancen. Lh6 19.De1 a5 20.b3!? Das ist eine ungewöhnliche Idee! Weiß schwächt freiwillig die schwarzen Felder vor dem eigenen König. Einen Vorteil bietet der Zug allerdings auch: Auf c4 kann sich nun der Läufer einnisten. Tg8 Nichts taugt der direkte Widerlegungsversuch a4 21.Lc4 axb3 22.Lxb3. 21.g3 Ke7 De5 sieht auch gut aus. Caruana darf dann aber nach 22.Lc4 keinesfalls auf e4 zugreifen: Dxe4?? 23.Sd4 Dxe1 24.Tfxe1 mit weißer Gewinnstellung. 22.Lc4 Le3 23.Tf3 Tg4 24.Df1 Tf8 25.Sf4 Lxf4! 26.Txf4 a4 27.bxa4 Lxa4 28.Dd3 Lc6 29.Lb3 Tg5 30.e5 Txe5 31.Tc4 Td5 32.De2 Karjakin behält in der offenen schwarzen Königsstellung lieber die Damen auf dem Brett – die Rechnung in Sachen Angriff geht dabei auf. Db6 33.Th4 Te5 34.Dd3 Lg2 35.Td4 d5 36.Dd2 Te4?? Läuferzüge nach f3 oder e4 hätten dagegen die Partie offen gehalten.
37.Txd5! Der entscheidende brillante Einschlag. „Ich habe die Variante nicht weit genug durchgerechnet“, erzählte Caruana nach der Niederlage, warum er das Turmopfer unterschätzte. exd5 38.Dxd5 Dc7 39.Df5! Karjakin gewinnt das geopferte Material zurück. Der Rest spielt sich gegen den entblößten König einfach. Tf7 40.Lxf7 De5 41.Td7+ Kf8 42.Td8+ 1:0.
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