Bindrich-Tregubow: Weiß gewinnt – dank eines gewitzten Ablenkungsmanövers

„Toilettegate“ in der Bundesliga: Eppinger Falko Bindrich wehrt sich gegen Vorwurf, auf dem Klo ein Smartphone eingesetzt zu haben / Referee nullt Partie
Von Hartmut Metz
Die wenig delikate Angelegenheit ging wieder einmal auf dem Klo über die Bühne. Das liegt sicher nicht daran, dass die Schachspieler auf ihren Partieformularen die Rochade mit „0-0“ notieren. Beschiss auf dem Örtchen hat erst Konjunktur, seit die Smartphones immer leistungsstärker werden und auch passable Programme auf diesen laufen. Seit 1998 kann elektronisches „Doping“ mit dem Computer nirgends mehr ausgeschlossen werden, als der Fall „Allwermann“ in Böblingen ruchbar wurde. Im Vorjahr überschattete ein Betrugsfall die deutsche Einzelmeisterschaft, bei der der sächsische Meister Christoph Natsidis nach erstaunlichen Resultaten überführt wurde. Seit dem vergangenen Sonntag steht nun auch der Vorwurf im Raum, dass es in der Schach-Bundesliga einen Dopingskandal gibt. Wieder mit im Mittelpunkt: Sebastian Siebrecht, der zur Enttarnung von Natsidis beigetragen hatte. Diesmal geriet Falko Bindrich in Verdacht. Obwohl Siebrecht schnell einen Zug machte, fand sich sein Eppinger Gegner nicht am Brett ein. „Konstantin Landa empfahl mir: Überprüfe mal den Gegner“, erzählt Siebrecht. Die Mülheimer Daniel Fridman und Pawel Tregubow, der tags zuvor gegen den nominell leicht schlechteren Bindrich verloren hatte, unterstellten „Falko Betrug. Ich suchte deshalb den Schiedsrichter“, führt Siebrecht weiter aus – er fand ihn schon bei der Fahndung auf der Herren-Toilette.
Wegen Tregubows Verdächtigungen vom Vortag hatte Dieter von Häfen Bindrich am Sonntagmorgen besonders im Visier. Kurz nach Spielbeginn sei er erstmals verschwunden, „kurz nach 10.30 Uhr war er wieder weg“, eine Viertelstunde später nochmals – weil nun auch Siebrecht misstrauisch geworden war, entschloss sich der Schiedsrichter zu einer „Taschenkontrolle“. Als Bindrich aus den sanitären Anlagen kam, forderte ihn von Häfen dazu auf – der 22-Jährige zeigte sich trotz des laut Reglement legitimen Vorgehens „entrüstet“ und rückte sein Smartphone nicht heraus.
Bindrich begründete dies jetzt auch in seiner Stellungnahme mit „privaten Bildern und sensiblen Geschäftsdaten“, die er niemand zeigen wolle – jedenfalls gelang es selbst dem Eppinger Kapitän Hans Dekan nicht, seinen Spieler zur Herausgabe des Handys zu bewegen. Nachdem auch der Schiedsrichter vergebens den Vorschlag machte, er möge nur kurz auf das Smartphone schauen, und wenn sich nichts zu der Partie fände, wäre der Fall erledigt, ließ sich der Großmeister nicht umstimmen. Dem Unparteiischen von Häfen blieb folglich nichts anderes übrig, als Bindrich zu nullen. Eppingen, das als schärfster Rivale von Abonnementmeister OSG Baden-Baden gilt, verlor so 3,5:4,5 gegen Außenseiter Katernberg. Eine bittere Niederlage, nachdem die Kraichgauer beim Auftakts-Hit Mülheim-Nord mit 4,5:3,5 geschlagen hatten.
„Falko hat einen Fehler gemacht“, findet Kapitän Dekan. Bindrich hält sein Vorgehen weiter für richtig. Ihn widere das „Verfolgen, Abhorchen und Ausspionieren“ bis auf die Toilette an. Er reklamiert „Rechtsstaatlichkeit“ und spricht sich gegen derlei „Schikane“ aus. Wie von dem 22-Jährigen ausgeführt, kann man in beiden Partien keine expliziten Computer-Züge erkennen – „im Gegenteil“, findet der Beschuldigte, gegen Tregubow sei ihm gewiss „keine Glanzleistung“ gelungen.
Allerdings: Wie sich Siebrecht gut erinnert, sei Bindrich auf dem Schachserver von Chessbase auch schon Computer-Betrug nachgewiesen worden, als er Ex-Weltmeister Garri Kasparow geschlagen und exorbitante Resultate erzielt habe. Siebrecht, der wegen seines Gardemaßes von 2,02 Meter gerne als „größter Großmeister der Welt“ firmiert, nahm den Vorfall mit Humor: „Nachdem der Betrug schon wieder gegen mich scheiterte, gelte ich jetzt in Schachkreisen als ,The Profiler’.“ Computer-Beschiss hinter öffentlichen Toilettentüren kann der Essener ja auch leichter aufdecken als andere: Wo andere einen Stuhl zum Rüberschauen benötigen, springt der Zwei-Meter-Mann einfach mal hoch, um einen ersten Überblick zu gewinnen – allerdings schaute er diesmal unter der Toilettentür durch nach der „richtigen Fußstellung“, wie Bindrich pikiert vermerkt.
Weil die genullte Partie gegen Siebrecht lediglich zehn Eröffnungszüge dauerte, nachstehend die erste Partie, die Bindrich nach Ansicht der Mülheimer schon mit Computer-Hilfe gespielt haben soll. Die Analyse mit einem Programm erhärtet die Vorwürfe allerdings kaum, weil Bindrich nicht immer die besten Züge spielte. Das Niveau hätte der junge Großmeister durchaus selbst bringen können. Zudem bemerkt Schiedsrichter Dieter von Häfen, dass der Verdächtige gegen 14.30 und 15.30 Uhr die Toilette aufsuchte und auch die Spülung betätigte – danach blieb Bindrich jedoch drei Stunden lang dem stillen Örtchen fern. „Dies hielt ich für eine normale Zeit zwischen zwei Toilettengängen“, notiert der Referee in seinem Bericht und ergänzt, „bis zum Ende der Partie, etwa eine Stunde später, ging er nicht mehr in diese Richtung.“

W: Bindrich S: Tregubow

1.Sf3 c5 2.c4 Sc6 3.Sc3 e5 4.g3 g6 5.Lg2 Lg7 6.a3 Sge7 7.0–0 0–0 8.d3 d6 9.Tb1 a5 10.Ld2 h6 11.Se1 Le6 12.Sc2 d5 13.cxd5 Sxd5 14.Se3 Das Springermanöver über e1 nach c2 und e3 wirkt computerartig – aber wenn der Springer schon auf c2 steht, kann man auf den guten Zug sicher auch selbst kommen. Sde7 15.Sa4 b6 16.b4 cxb4 17.axb4 b5 18.Sc5 La2 Schwarz hat bis an diese Stelle alles richtig gemacht und ausgeglichen. a4 wäre laut den Programmen ebenso akzeptabel. Tregubow zieht aber verständlicherweise lieber den Läufer auf e6 weg, um sich keinen Doppelbauern verpassen zu lassen. 19.Sxe6 fxe6 und Schwarz beherrscht im Gegenzug für die Bauernschwäche alle Zentrumsfelder mit Ausnahme von e4. 19.bxa5! Ein starker Zug. Nur das Qualitätsopfer verhindert, dass Schwarz die Regie übernimmt. 19.Ta1 erlaubt axb4 und 19.Tb2 axb4 20.Lxb4 e4 21.Dd2 Lxb2 22.Dxb2 Sxb4 23.Dxb4 Sd5 24.Sxd5 Lxd5 25.Lxe4 Lxe4 26.Sxe4 Db6 bewerten Computer als etwas besser für den Nachziehenden – ein Mensch würde sich hingegen eher mit den weißen Steinen wohlfühlen. Lxb1 20.Dxb1 Ta7 Sxa5? gereicht Schwarz zum Nachteil: 21.Lxa8 Dxa8 22.Dxb5 Sac6 23.Da4 Sd4 24.Te1 mit einigem, wenn auch noch nicht vorentscheidendem Vorteil für Weiß. 21.Dxb5 Sd4 22.Db6 Sc8! 23.Dxd8 Der Rechner plädiert für 23.Db4 Sxe2+ 24.Kh1 Sd4 25.Tc1. Sxe2+ 24.Kh1 Txd8 25.Sc4 Sd4 Tc7 26.Lb4 Lf8 27.Sa6 Ta7 28.Lxf8 Kxf8 29.Sb4 Sd4 30.Sxe5 Se7 (Txa5? 31.Sec6 Ta4 32.Sxd8 Txb4 33.Sc6 Sxc6 34.Lxc6 Se7 35.Lf3 Td4 36.Le2 gibt Weiß einen Mehrbauern). 26.Tb1 Lf8?! Sd6! 27.Sxd6 Txd6 28.Tb8+ Kh7 hält die Stellung im Gleichgewicht. 27.Sb7 Te8 28.Le3 f6 29.f4 Ta6 30.fxe5 fxe5 31.Ld5+ Kh7 32.g4 Will Sf5 verhindern. 32.Le4 bevorzugt das Programm „Rybka“. Sc2?! 33.Ld2?! 33.Lg1 ist stärker, um den Läufer auf der Diagonalen zu lassen. Se7 34.Le4 Sg8 35.Tb6 Txb6 36.axb6 Mittlerweile wird augenscheinlich, warum Bindrich trotz des kleinen Materialnachteils mit Läufer plus Bauer für den Turm keineswegs schlechter steht: Der vorgerückte b-Bauer bietet gute Chancen. Lb4? Sf6 37.Sba5 Sxe4 38.dxe4 Sa3 39.Se3 (39.Sxa3 Lxa3 40.Sc6 hält das Gleichgewicht) Ld6 40.Sd5 Kg7 41.b7 Sb5 42.Sb4 h5 43.Sa6 hxg4 44.Kg2 Th8 Schwarz sollte b8 genügend kontrollieren und so den halben Punkt verteidigen. 37.Sbd6 Tb8 38.Lxb4 Sxb4 39.b7 Sf6 40.Sxe5 Sxe4 41.dxe4 Td8 42.Sec4 Nun dürfte Weiß genügend Vorteil besitzen. Der b-Bauer bindet den Turm, und der e-Bauer dürfte Schwarz bald mehr beschäftigen, als ihm lieb ist. Kg7 43.e5 Sc6 44.Kg2 Kf8 45.Kf3 Ke7 46.Ke4 Ke6 47.Sb5 Td1?! 48.Sa5! Für den Zug braucht kein Großmeister einen Helfer. Simple Ablenkung des Springers auf c6, der nicht schlagen darf, weil ansonsten der b-Bauer zur Dame aufsteigt. Te1+ 49.Kd3 Sb8 50.Sc6!! Td1+ Sxc6 scheitert nun an 51.Sd4+! Sxd4 (Kd5 52.Sxc6 Tb1 53.b8D Txb8 54.Sxb8) 52.b8D. 51.Kc2 Sxc6 Td7 52.Sbd4+! (52.Sxb8 Txb7 53.Sc6 Txb5 54.Sd4+ Kxe5 55.Sxb5 Kf4 56.Sd6 Kxg4 57.Sf7 Kh3 58.Sxh6 Kxh2 führt zum Remis) Txd4 (Kd5 53.Sxb8 Txb7 54.Sbc6 h5 55.gxh5 gxh5 56.e6 Kd6 57.e7 Kd7 58.h4 ist hoffnungslos für Schwarz, weil der Turm nicht mehr aktiv ins Spiel kommt, um den h-Bauern zu erobern. Gelänge dies, könnte er sich anschließend mühelos auf e7 opfern, zumal zwei Springer alleine den feindlichen König nicht mattsetzen können) 53.Sxd4+ dürfte wie das Partiefinale enden. 52.Kxd1 Kxe5 53.Ke2 h5?! Sb8 scheint zäher. 54.Kf3 Sb8 55.h4 55.g5 bevorzugt der Rechner – was auch nicht die Mutmaßung stützt, dass Bindrich Computer-Hilfe einsetzte. Kd5 56.g5 Kc6 57.Sd4+ Kxb7 58.Ke4 Sd7 59.Kd5 Kc8 60.Ke6 Kc7 61.Sf3 Weiß erobert die beiden schwarzen Bauern und gewinnt hernach leicht. 1:0.

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